Amsterdam, bekannt für seine Grachten und sein liberales Lebensgefühl, plant ein Mega-Bordell am Stadtrand.
July 14, 2024
Amsterdam, die Stadt der Grachten, Tulpen und des liberalen Lebensgefühls, plant ein Projekt, das für reichlich Gesprächsstoff sorgt: ein „Mega-Bordell“ am Stadtrand.
Die Idee: Die Sexarbeit aus dem berühmten und zentral gelegenen Rotlichtviertel „De Wallen“ in ein Hochhaus mit rund 100 Arbeitsplätzen, Gaststätten, Sex-Theatern und Clubs zu verlagern.
Die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema, beauftragte das Project Management Bureau of Amsterdam damit, die Möglichkeiten für ein Erotikzentrum an einem anderen Ort in der Stadt zu untersuchen.
Das Projekt „Mega-Bordell“ steht symbolisch für den Wandel in Amsterdam.
Die Einwohnerzahl der Stadt wächst rasant und mit ihr auch der Massentourismus. Gleichzeitig bemüht sie sich, ihre liberale Tradition und Werte wie Toleranz und Freiheit zu bewahren.
Mehrere Millionen Menschen besuchen jährlich die Hauptstadt der Niederlande, in der nur 920.000 leben.
Nach dem Rekord von 22. Mio. Touristen im Jahr 2019, wurde zwei Jahre später sogar eine Obergrenze von 20 Mio. Besuchern pro Jahr durch die Stadt festgelegt.
Von diesen vielen Besuchern nehmen rund 200.000 Menschen jährlich die Dienste der Prostituierten des weltweit berühmten Amsterdamer Rotlichtviertels in Anspruch.
Ein Vielfaches der Kunden aber läuft an den rot beleuchteten Fenstern vorbei, um einen Blick auf die leicht bekleideten Damen und Herren zu erhaschen.
Kurzer Sidefact: Seit einigen Jahren gibt es auch blau beleuchtete Fenster. Dort arbeiten transsexuelle Prostituierte.
Das Rotlichtviertel in Amsterdam ist Hauptattraktion
Prostitution wird häufig als das älteste Gewerbe der Welt beschrieben und ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil des Amsterdamer Stadtbildes.
Bereits im Mittelalter gab es in „De Wallen“ Bordelle und Freudenhäuser.
Bis ins 17. Jahrhundert lässt sich die Geschichte des Viertels zurückverfolgen. Seit dem prägte die Sexarbeit die Architektur der dort verlaufenden Straßen.
Die Oude Kerk („Alte Kirche“) aus dem 14. Jahrhundert diente beispielsweise ursprünglich als Kloster, bevor es im 17. Jahrhundert zu einem Bordell umgewandelt wurde. Heute beherbergt sie das weltweit erste Sexmuseum „Red light secrets“.
„De Wallen“ befindet sich im ältesten Teil der Stadt Amsterdams, welcher sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde.
Mittlerweile erinnert das Viertel jedoch immer mehr an einen Freizeitpark für Touristen, in dem Drogenmissbrauch und Gewalt an der Tagesordnung sind. Viele Amsterdamer meiden das Viertel deshalb und auch die Bewohner beschweren sich. Zu viele Menschen, die sich daneben benehmen, machen „De Wallen“ zu einem Problembezirk.
Schon lange wird diskutiert, wie man dieser Entwicklung Einhalt gebieten kann. Eine Lösungsoption ist der Bau des neuen Bordells, um 100 der 230 im Bezirk angemeldeten Prostitutionsbetriebe zu verlagern.
Die tatsächliche Gestaltung des Gebäudes ist noch unklar. Zunächst hatte man eine Ansammlung mehrerer Gebäude und sogar eine schwimmende Variante gegenübergestellt.
Erste Entwürfe des Architekturbüros Moke zeigen ein modernes Hochhaus mit großzügigen Glasfronten. Die Architekten stehen vor der Herausforderung, ein funktionales und ansprechendes Gebäude zu schaffen, das sich gleichzeitig harmonisch in die Umgebung einfügt – bei einem Bordell keine leichte Aufgabe.
Die Wahl des Standortes ist ebenfalls umstritten. Ursprünglich waren verschiedene Gebiete im Norden und im schicken Süden der Stadt im Gespräch. Anwohner und die dort ansässige Europäische Arzneimittelbehörde protestierten jedoch gegen das Bordell in der direkten Nachbarschaft.
Auch die Prostituierten sind nicht unbedingt begeistert von einer Umsiedlung.
So schwierig die Zustände und die vielen Menschen in „De Wallen“ auch sind, für die Sexarbeiterinnen bedeuten die vielen Menschen gleichzeitig Schutz und Sicherheit.
Unabhängig vom Standort muss das „Mega-Bordell“ in ein sinnvolles städtebauliches Konzept eingebettet werden.
Es darf nicht zu einem isolierten Ort der Ausschweifungen werden, sondern sollte sich in die Umgebung integrieren und positiv zur Stadtentwicklung beitragen.
Die Architekten haben sich deshalb bei ihren Untersuchungen für das Vergnügungszentrum mit vielfältigen Themen auseinandergesetzt. Geschaffen wurde die Idee eines Ortes, der mehr bietet, als man vielleicht vermuten mag.
Im aktuellen Entwurf sind nämlich ein Kino bzw. Theater, Boutiquen, Restaurant und Clubs sowie Wohnräume für die Prostituierten angedacht. Auch VR-Anwendungen und ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem wären an einem solchen Ort möglich. Denkbar wäre zudem die Integration von Grünflächen, erotischen Lesungen oder Tantra Studios.
Für jede Art der Sexarbeit und auch Prostituierte aus dem LGBTQ-Bereich wäre das Projekt in jedem Fall eine Bereicherung. Diese müssen aktuell in eher zwielichtigen und unsicheren Verhältnissen arbeiten. Im Erotikzentrum sollte jedoch für alle Vorlieben etwas geboten werden.
Herumspazieren, die Atmosphäre spüren und sehen, was einem begegnet, genau wie in einem echten Stadtviertel. Das ist ein Schlüsselgedanke des Konzepts für das Erotikzentrum.
Im unteren Teil des Gebäudes befinden sich daher kreisförmige Vergnügungsbereiche, in denen die Besucher selbst entscheiden können, welchen Weg durch das Gebäude sie nehmen und welcher Art von Vergnügen sie nachgehen möchten.
Vom Erdgeschoss an windet sich eine Rampe um den Turm. Hier sind auch die neuen Fenster der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter platziert. Man kann, wie in „De Wallen“ gerade auch, an den Fenstern entlang schlendern und schauen, welche Dienstleistungen einen ansprechen. Dazwischen haben die Architekten Räume für Büros, Arztpraxen oder psychiatrische Dienste eingeplant.
Im Inneren der Türme befinden sich Wohnräume für Sexarbeiterinnen und anderes Personal. Die Wohnräume sind über einen privaten Eingang zu erreichen und stehen in direkter Verbindung mit den Arbeitsbereichen der Prostituierten.
Die Architekten erhoffen sich hierdurch das Entstehen einer Nachbarschaft, in der sich Menschen wohlfühlen, aber auch sicher sind. Von ganz oben hätte man einen fantastischen Blick über Amsterdam.
Ob das Sexhaus tatsächlich gebaut wird und wenn ja wo, ist aktuell noch nicht zu 100 Prozent geklärt. Momentan finden weitere Gespräche mit den Prostituierten statt, um auch deren Wünsche und Anforderungen in den Entwurf zu integrieren. Davon hatte man nämlich bisher eher Abstand genommen.
Ob und inwiefern die Umsiedlung der 100 Schaufenster tatsächlich einen Einfluss auf den Massentourismus des Viertels haben wird, bleibt abzuwarten. Denn klar ist, dass viele Touristen nicht vorrangig wegen des Rotlichtviertels „De Wallen“ nach Amsterdam reisen. Amsterdam müsste grundlegende Veränderungen durchsetzen und das könnte etwas schwierig werden.
Den Entwurf hat zwar die Stadt Amsterdam in Auftrag gegeben. Finanziert werden soll das Projekt jedoch von privaten Bauherrn - und die müssen ebenfalls noch gefunden werden.