Deutschland 2035: Die Stadt mit 45 Mio. Einwohnern – Was erwartet uns?

Peter Savelberg beschäftigt sich schon lange Zeit mit Urbanismus und strategischer Konzeptentwicklung von Gebäuden und Städten. Vor rund 10 Jahren hat er das Konzept der Tristate City ins Leben gerufen und damit ganz schön für Aufsehen gesorgt.

Was ist eine Megacity und warum gerade Deutschland?

Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf das am dichtesten besiedelte Gebiet Europas. Es befindet sich nämlich teilweise in Deutschland genauer im Ruhrgebiet. Zusammen mit den angrenzenden Ländern Belgien und den Niederlanden wohnen hier über 30 Millionen Menschen.

Doch damit nicht genug: 10 der besten Universitäten Europas und große Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen sind hier angesiedelt. 

Die Region ist ein wichtiger Umschlagplatz für Waren und Lieferungen, Verkehrsknotenpunkt und zentrales Tor nach Europa. In Rotterdam befindet sich zum Beispiel der größte Hafen Europas. Insgesamt werden hier jährlich 450 Mio. Tonnen Waren bewegt. 

Auch aus der Baubranche finden sich hier zahlreiche Hidden Champions.

Dennoch konkurrieren die vielen kleinen Städte miteinander beziehungsweise arbeiten sie vollkommen unabhängig und nicht grenzübergreifend. Dies führt zu einem hohen bürokratischen Aufwand und dazu, dass viele kleine Insellösungen existieren. Eine Menge Papierkram fällt an und keine der kleineren Städte kann mit Städten wie New York und Shanghai konkurrieren.

Peter Savelberg befüchtet, dass Europa in den kommenden Jahren seine Stellung verlieren wird. Deshalb hat er ein Konzept entworfen, wie diese kleinen Städte besser zusammenarbeiten und - mehr noch - voneinander profitieren können. Er ist der Überzeugung, dass nur Wirtschaftsstandorte mit großer Bevölkerung im internationalen Vergleich eine Rolle spielen können. In einem Interview warnte er davor, dass Standorte mit „nur“ einer Million Bewohnern in einer schwachen Position sind. Und davon gibt es im Gebiet rund um den Rhein eine ganze Menge.

Wie sieht das Konzept zur Megacity in Deutschland nun grundlegend aus? 

Das Projekt wird von einer Gruppe institutioneller Investoren unterstützt und hat das ehrgeizige Ziel, eine Megametropole mit über 45 Millionen Einwohnern zu schaffen, die die Niederlande, Teile Belgiens und das Ruhrgebiet umfasst. Dadurch entstehen einige Vorteile wie zum Beispiel die problemlose länderübergreifende Zusammenarbeit und der Austausch von Waren und Dienstleistungen. Ein weiterer Vorteil eines Staatenverbundes wäre die gemeinsame öffentliche Verwaltung, ein einheitliches Bildungssystem, gesammelte Energie- und Transportströme. 

Viele Probleme, mit denen kleine Städte heute zu kämpfen haben, könnten im Kollektiv deutlich einfacher und mit mehr Power angegangen werden. So könnte ein wirtschaftlich bedeutendes Zentrum geschaffen werden. In den Bereichen Kultur, Forschung und Innovation könnte gemeinsam viel mehr erreicht werden. Auch die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen oder die grenzübergreifende Arbeit an Energiegewinnung und Wassernetzen könnte mit vereinten Kräften deutlich an Aufschwung gewinnen. 

Man würde dann nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander arbeiten und könnte, so der Gedanke der Projektinitiatoren, deutlich effizienter werden. Insgesamt würde die Region dadurch an Attraktivität gewinnen.

Könnte, würde, hätte… ihr merkt schon: ziemlich viel Konjunktiv. Denn wirklich spruchreif ist hier noch gar nichts, eher im Gegenteil. In Deutschland ist das Projekt bisher noch eher unbekannt. Im September 2022 wurde die Frage an den Bundestag nach einer offiziellen Beteiligung Deutschlands an diesem Projekt sogar verneint. Dennoch laufen Untersuchungen und Studien zur Tristate City auch Eurodelta, ABC-Region oder Lower Rhine Area genannt. Hierbei geht es aber vor allem um die Förderung grenzübergreifender Zusammenarbeit und den Abbau von Hürden.

Was in Deutschland noch wenig Beachtung gefunden hat, ist in den Niederlanden bereits ein richtig großes Thema geworden. Angeblich stehen sogar die Bauernproteste im Zuge der restriktiven Stickstoffverordnung mit dem Mega Projekt "Tristate City" im Zusammenhang. 

Was haben die niederländischen Bauernproteste mit der Tristate City zu tun?

Die niederländische Landwirtschaft stößt im Vergleich zum europäischen Durchschnitt etwa drei Mal mehr Stickstoff aus. Die Begrenzung der Emissionen ist jedoch erforderlich, um Klimaziele einzuhalten und andere Branchen, zum Beispiel den Wohnungsbau in den Niederlanden, zu fördern. Unsere Nachbarn haben nämlich ein ebenso ambitioniertes Ziel wie die deutsche Bundesregierung. Pro Jahr sollen in Zukunft 300.000 neue Wohnungen gebaut werden.

Die niederländische Regierung fordert nun alle Landwirte und ganz besonders die Spitzenverschmutzer dazu auf, ihre Emissionen zu begrenzen, andernfalls droht eine Zwangsumsiedlung. Um ein solches Projekt in die Tat umsetzen zu können, müssten zunächst massive Ausbaumaßnahmen der Infrastruktur vorgenommen werden. Bahnschnellverbindungen und der Ausbau von Autobahnen wären erforderlich, um schnelles Reisen zu ermöglichen. 

Die Bauern werfen der niederländischen Politik vor, die Stickstoffdiskussion vorzuschieben, um Flächen für etwaige Infrastrukturprojekte zu erhalten. Zeitweise ging der Protest so weit, dass die Webseite von Tristate City offline genommen und umstrukturiert werden musste. Ein Hinweis im Footer weißt nun klar darauf hin, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Projekt und der Stickstoffverordnung gibt. 

Welche Kritikpunkte zu einer Mega City in Deutschland gibt es?

Während das Tristate-Projekt in Europa an sich Unterstützung findet, gibt es auch Kritik aus den eigenen Reihen. Einige Stimmen, darunter der Initiator Peter Savelberg selbst, räumen ein, dass die Skalierung von Tristate City ein Problem darstellen könnte. In einem Interview betonte er, dass Tristate City kein räumliches Entwicklungsmodell sei, sondern ein Marketing-Modell. Er hebt hervor, dass bereits 30 Millionen Menschen in der Region leben und keine drastische Bevölkerungszunahme zu erwarten ist. 

Er weist auch darauf hin, dass Tristate City nicht das Modell der Pearl River Delta City in China imitiert. 

Tristate City in Deutschland ist also kein Einzelfall? Ein Blick auf das Pearl-River Delta in China!

Tatsächlich gibt es weltweit mehrere vergleichbare Projekte. Eines davon wird im besagten Pearl River Delta in China realisiert. Mit den dort ansässigen Städten Hong-Kong, Shenzhen, Dongguan und Guangzhou entwickelt sich das Gebiet gerade zur größten Metropolregion der Welt. Insgesamt leben hier heute mehr als 70 Millionen Menschen auf einer Fläche, die ungefähr drei Mal so groß ist, wie das Saarland. Zum Vergleich im Saarland leben knapp 1 Millionen Menschen. 

Die rasende Entwicklung begann mit dem Wirtschaftswachstum Chinas vor rund 40 Jahren, als Kleinstädte Zuwachs bekamen und sich immer weiter vergrößerten. Auch die 55 km lange Hongkong-Zhuhai-Macao-Brücke ist hier verortet. Sie gilt als längste Überwasser-Brücke der Welt. Die chinesische Regierung will nun das Delta bis 2035 zu einer Stadt der Städte ausbauen: der Greater Bay Area.

Auch Nordamerika hat Pläne zur Bildung einer Superstadt

Und auch in Nordamerika gibt es den Plan zur Bildung einer Superstadt, auch Metropolitan Area genannt. Das Projekt umfasst die Metropolregionen New York, New Jersey und Connecticut. Ähnlich wie das europäische Pendant strebt das New Yorker Tristate-Projekt danach, eine nahtlose Megametropole zu schaffen. Initiiert hat das New Yorker Projekt die Regional Plan Association (RPA). 

Durch die Zusammenarbeit dieser drei Staaten soll nicht nur die Wirtschaft gestärkt, sondern auch die Lebensqualität in der gesamten Region verbessert werden. Es geht auch in den USA darum, gemeinsame Herausforderungen anzugehen, die die gesamte Region betreffen. Vom Ausbau der Infrastruktur über eine Steuerreform, Neueinteilung der Schulbezirke bis zur Umweltschutzpolitik – die Ziele der RPA (englisch ausgesprochen) sind in einem 400 Seiten langen Dokument genau beschrieben.

Die New Yorker sind allerdings nicht besonders begeistert über die Pläne für ihre Stadt. Als diese bekannt wurden, hagelte es Shitstorms auf Social Media. 

Fazit

Die weltweite Urbanisierung schreitet unaufhaltsam voran, und mit ihr entstehen visionäre Konzepte. 

Das Streben nach vereinfachter Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg, um effiziente und nachhaltige Megametropolen zu schaffen, zeigt, dass das Tristate-Konzept weltweit auf, sagen wir mal, Aufmerksamkeit stößt.