Thorsten Hahn (Holcim Deutschland GmbH) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
February 28, 2023
Brücken, Tunnel, Häuser – aufgrund seiner Langlebig- und Beständigkeit zählt Beton zu den meist verwendeten Materialien in der Baubranche. Hauptbestandteil des Baustoffs ist Zement. Allein im vergangenen Jahr 2022 belief sich die weltweite Produktion von Zement auf mehr als 4,1 Milliarden Tonnen. Zu den Big Playern unter den Herstellern zählt die Holcim AG mit ihren Marken Holcim und Lafarge. Das weltgrößte Baustoffunternehmen verzeichnete zuletzt Rekordumsätze und Milliardengewinne. Thorsten Hahn ist seit Februar 2018 CEO der Holcim Deutschland GmbH, einer Tochtergesellschaft von LafargeHolcim Ltd mit einem Jahresumsatz von rund 880 Millionen Euro. Die Unternehmensgruppe beschäftigt rund 1.800 Mitarbeiter an mehr als 130 Standorten in zwölf Bundesländern sowie in den Niederlanden, fertigt und vertreibt Zement, Gesteinskörnungen, Transportbeton und Betonfertigteile.
Beton gilt als Klimasünder. Wie der Weltklimarat erklärt, gehen etwa drei Milliarden Tonnen CO2 jährlich allein auf die Produktion von Zement zurück. Das sind bis zu zehn Prozent des vom Menschen ausgestoßenen Treibhausgases. In Deutschland sind es etwa zwei Prozent. Oder anders ausgedrückt: Bei der Herstellung von einem Kubikmeter Stahlbeton wird so viel CO2 freigesetzt, wie zirka 4.000 Bäume einen Tag lang umsetzen können.
Holcim verzeichnet die größten Umsatzerlöse mit Zement. Die Produktionsstandorte sind in Deutschland verteilt. Allein in dem Werk in Oberhausen werden jährlich rund fünf Millionen Tonnen Zement produziert. Daneben trägt das Unternehmen aus Steinbrüchen und Kiesgruben zirka 15 Millionen Tonnen Rohstoffe zur Weiterverarbeitung ab und betreibt 80 Transportbetonwerke sowie vier Fertigteilwerke in Deutschland und den Niederlanden.
Das Unternehmen befindet sich derzeit im Umbruch, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu minimieren. Laut eigenen Angaben verursacht Holcim Deutschland 3,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das Unternehmensziel besteht darin, diese Zahl auf null zu bringen – und zwar vor dem definierten Klimaneutralitätsziel der EU im Jahr 2045.
Zement wird gebrannt. Ein Drittel der Emissionen kommt aus der Flamme, zwei Drittel werden verursacht durch chemische Prozesse, die während der Produktion stattfinden. Indem andere Materialien wie Hüttensand dem Brennvorgang beigefügt werden, kann der CO2-Fußabdruck pro Tonne Zement massiv gesenkt werden, verdeutlicht Thorsten Hahn. Daneben steht die logistische Herausforderung: Der Transport von Zement und Co. verursache laut Unternehmensangaben rund 600.000 Tonnen CO2 pro Jahr.
Holcim konditioniert deshalb die eigenen Fahrer hinsichtlich ihrer Fahrweise. Wer zu viel bremst, stößt zu viele Emissionen aus. Wer den Reifendruck regelmäßig prüft, kann auch hier den Schadstoffausstoß reduzieren. Allein durch diese optimierte Fahrweise könnten rund 20 Prozent CO2 eingespart werden, also 100.000 Tonnen jährlich. Weiter setzt der Konzern auf digitale Strategien zur Optimierung der Fahrten. Geplant ist der Einsatz von Elektro-LKWs. Bio-LNG-LKWs, die mit Flüssiggas fahren, sind bereits auf den Straßen unterwegs.
Erst Mitte Januar 2023 erhielt Holcim einen Scheck in Höhe von fast 110 Millionen Euro von der Europäischen Union, um damit den Aufbau eines klimaneutralen Zementwerkes in Schleswig-Holstein zu fördern. Dahinter steht das Innovationsprojekt Carbon2Business. In dem Zementwerk in Lägerdorf soll mit den Mitteln eine neue Ofenlinie gebaut werden. Der Ofen nutzt die Oxyfuel-Technologie der zweiten Generation sowie eine nachgeschaltete Kompressions- und Reinigungseinheit zur Dekarbonisierung der Zementproduktion. Holcim selbst investiert einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in das Projekt, mit dem Ziel, die grüne Zementproduktion voranzutreiben und in diesem Zusammenhang eine Vorreiter-Position einzunehmen.
Bei dem Oxyfuel-Verfahren wird reiner Sauerstoff in den Verbrennungsprozess des Zementofens eingespeist. Im Ergebnis entsteht im Zementofen sehr reines CO2, das letztlich zu Methanol verarbeitet oder als Grundstoff für die chemische Industrie zum Beispiel für die Kunststoff-Produktion aufbereitet wird. Durch das Verfahren können allein am Standort Lägerdorf jährlich 1,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Holcim profitiert stark vom Sammeln und Auswertung von Daten sowie vom Einsatz moderner digitaler Technik. Um im Team dahingehend ein Verständnis zu entwickeln, gibt es Kolleginnen und Kollegen, die sich intensiv mit Transformationsprozessen auseinandersetzen.
„Die Hauptaufgabe ist, die Firma zu transformieren. Wenn du einen neuen Weg gehst, ist er am ersten Tag mühselig, doch an Tag fünf wirst du merken, dass der Weg echt klasse ist, dass du ihn schon viel länger hättest gehen sollen. Das ist mit der Digitalisierung nichts anderes.“
Holcim setzt auf benutzerfreundliche Digitallösungen, auf künstliche Intelligenz, auf mitdenkende Technik. Der Schlüssel zur Akzeptanz für diese Mittel liege hierbei in der Kommunikation, intern wie extern. Holcim trägt nicht nur Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch gegenüber den Kunden, den Baufirmen. Wenn Holcim in Zukunft Zement klimaneutral herstellen will, braucht es hierfür Abnehmer. Das Unternehmen setzt primär auf das Direktgeschäft und hat dahingehend sein Vertriebskonzept überdacht, auch um den Markt für klimaoptimierte Produkte zu sensibilisieren.
Bereits jetzt definiert sich Holcim mit der ECOPact-Produktreihe aus CO2-reduzierten Betonen neu, um auf diese Weise die Klimabilanz von Gebäuden signifikant zu verbessern. Die Einsparungen betragen, je nach Sorte, zwischen 30 und 70 % CO2 im Vergleich zu Standardbeton. Holcim hat erkannt, dass die Nachhaltigkeit von Gebäuden auf Investorenseite zunehmend eine Rolle spielt – und zwar nicht nur dahingehend, ob diese klimaneutral betrieben werden können, sondern auch ob diese klimaneutral gebaut wurden.
Dass inzwischen für Neubauprojekte dahingehend alle Daten über die verwendeten Materialien und Rohstoffe vorgehalten werden können, vereinfacht die Entscheidungsfindung für Investoren – der Digitalisierung sei Dank. Wer also während der Projektierung daran festhält, dass der Ausblick aus dem 15. Stockwerk in Zukunft das entscheidende Kauf- oder Mietkriterium für Immobilie sein wird, sei auf verlorenem Posten.
Zahlreiche Unternehmen setzen inzwischen auf Zertifizierungsprogramme, um ihre Produkte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu deklarieren. Ein Teil dieser Programme bildet auch den CO2-Fußabdruck von Produkten ab. Die Zertifikate sind jedoch erst dann relevant, wenn die eingespeisten Daten lückenlos nachweisbar und transparent sind sowie mehrfach von dritter Stelle geprüft werden. Nachhaltig darf nicht nur auf einem Produkt stehen, sondern muss auch wirklich in dem Produkt stecken, um nicht mit dem Vorwurf des Greenwashings zu werden.
„In Anbetracht der EU-Taxonomie wollen künftig auch die Banken wissen, wie grün ein Gebäude ist. Ist dies nicht nachweisbar, wackelt die Finanzierung. Wer hier Schindluder treibt, begeht Betrug.“
Die Politik steht in der Verantwortung, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, zum Beispiel wenn es um behördliche Prozesse geht. Holcim hat kürzlich einen Zement entwickelt, dem Abbruchmaterialien zugefügt werden, um den Kreislaufwirtschaftsgedanken zu fördern. Die Zulassung dauert inzwischen über ein Jahr. Dabei handle es sich hierbei lediglich um die Anpassung einer bestehenden Rezeptur, um letztlich CO2 zu sparen.
Gleichzeitig müssen Bund, Länder und Kommunen hinsichtlich ihrer eigenen Immobilien zeigen, dass sie grüne Produkte wollen, indem sie diese verwenden. Es darf nicht mehr in Beispielen gedacht werden, in Individuallösungen. Nachhaltigkeit könne nur funktionieren, wenn alle Mannschaften auf dem Spielfeld Lust haben, an dem Match teilzunehmen. Die Zeit des Auf-die-Schulter-Klopfens, weil hier und dort ein tolles Referenzobjekt entstanden ist, sei längst vorbei. Für Thorsten Hahn könnten zahlreiche dieser Referenzprojekte in Serie gehen und zum Standard erklärt werden.
Nur wer Tradiertes über Bord wirft, kann zukunftsfähig sein. Deshalb setzt Holcim auf den Impact von Start-ups, die meistens sehr flexibel reagieren und mit neuen Sichtweisen überzeugen. Derzeit arbeitet das Unternehmen diesbezüglich mit N1 Trading zusammen. Die Firma aus Dossenheim hat eine KI-gestützte Software entwickelt, die bei der Identifizierung von Kreislaufpotenzialen hilft, also wie, wann und wo Materialien wiederverwertet oder recycelt werden können. Das Konzept funktioniert datenbasiert, anhand von Leistungsverzeichnissen oder ERP-Daten.
Entsorgt ein Bauunternehmer Material auf einer Deponie, kostet ihn das jede Menge Geld. Über das System kann er das Material für andere Firmen zur Verfügung stellen, die es dann erneut verwenden – eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, insbesondere in Zeiten, in denen Rohstoffe knapper werden.
„Entscheidend ist, dass wir jetzt die richtigen Weichen stellen für unsere Kinder und für deren Kinder. Recyclingmaterial müsste eigentlich mehr wert sein als neues Material aus der Erde. Am Ende muss der Bauunternehmer sein Gebäude auch als Materiallager begreifen.“
Inzwischen würden sogar erste Verträge mit einer Rücknahmeverpflichtung aufgesetzt. Holcim erklärt sich einverstanden, das ausgelieferte Material zurückzunehmen, sofern das Bauwerk abgebrochen wird. Thorsten Hahn selbst ist seit knapp 30 Jahren in der Baubranche. Diesen neuen Ansatz hält er für genial – ganz im Sinne der Umwelt.
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