Die Zukunft des Ingenieurwesens in Deutschland: Ein unterschätzter Beruf?

Jörg Thiele, Präsident des Verbands Beratender Ingenieure (VBI) und Unternehmer

Jörg Thiele, Präsident des Verbands Beratender Ingenieure (VBI) und Unternehmer

Jörg Thiele ist Unternehmer und seit 2018 Präsident des Verbands Beratender Ingenieure (VBI). Im seit mehr als 120 Jahre bestehenden Verband werden die Interessen von über 1400 Mitgliedsunternehmen vertreten. Das sind Ingenieure und Architekten, die in Deutschland planend und beratend tätig sind.

Dem Ingeniör ist nichts zu schwör. Oder?

Ingenieure in Deutschland haben es nicht ganz leicht. Das Gehaltsniveau hierzulande variiert für sie stark - je nach Branche. Besonders planende Ingenieurinnen und Ingenieure in Architektur- und Ingenieurbüros verdienen oft weniger als ihre Kollegen in anderen Industriezweigen. Die Vergütung spiegelt somit nicht immer die hohe Verantwortung und das Know-how wider, das Ingenieure in ihre Projekte einbringen. Wenn es nach dem Verband Beratender Ingenieure ginge, wäre das anders - doch dazu gleich mehr!

Eine Karriere durch Zufall oder Bestimmung?

Jörg Thiele wuchs in einem bauaffinen Elternhaus auf. Seine Eltern waren Bauingenieure, sein Großvater Maurer – eine Karriere im Bauwesen lag nahe. Dennoch war es keine reine Familienentscheidung, sondern ein bewusster Weg. Genau wie Jörg damals stehen viele junge Menschen heute vor ähnlichen Fragen: Wie sehen die besten Entwicklungsmöglichkeiten aus? Das Bauingenieurwesen bietet viele Chancen, ist aber nicht ohne Risiken. Auch eine Portion Mut braucht es, wenn man es schaffen will, verrät Jörg im Podcast. 

Unternehmer wider Willen – oder doch aus Leidenschaft?

Nach der Wende übernahm Jörgs Vater den Betrieb, in dem er bis dahin tätig war. In Chemnitz war das ein Volkseigener Betrieb (VEB), ein sogenanntes Baukombinat. Mit zwei Partnern kaufte Jörgs Vater den Betrieb nach dem Mauerfall von der Treuhand. Später stieg Jörg ein, übernahm sukzessive die Anteile seines Vaters und der Partner. Dabei musste er sich mit Management-Buy-outs, Finanzierungen und wirtschaftlichen Krisen auseinandersetzen. Ein Schritt, der den eben genannten Mut erforderte. Heute ist Jörg überzeugter Unternehmer und schätzt die Unabhängigkeit, die damit einhergeht.

Jörgs Weg zum VBI

Ende der 1990er Jahre trat Jörg dem Vorgängerverband des heutigen VBI bei. In einer Zeit des Umbruchs nach der Wende erkannte er die Notwendigkeit, sich in Netzwerken zu engagieren und die Interessen der Ingenieurbüros aktiv zu vertreten. Durch seinen Einsatz wurde er zunächst Landesvorsitzender in Sachsen und Thüringen, später Vizepräsident und schließlich Präsident des VBI. 

Der VBI ist heute die führende Berufsorganisation unabhängig beratender und planender Ingenieure in Deutschland. Im Verband kommen 1.400 Ingenieur-, Consulting- und Architekturunternehmen zusammen. Jörgs Arbeit im Verband ist geprägt von dem Ziel, die Rahmenbedingungen für Ingenieure zu verbessern und die Branche zu stärken - im Dialog mit Auftraggebern und nationaler sowie europäischer Politik. 

Die größten Herausforderungen für Ingenieurbüros

Die Bauwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Besonders kleine Ingenieurbüros mit wenigen Mitarbeitern kämpfen mit Investitionsdruck, Digitalisierung und Fachkräftemangel. Ein erfolgreiches Unternehmen muss Strukturen und Kapazitäten schaffen, um am Markt bestehen zu können. Jörg sieht für zu kleinen Einheiten ein Risiko und bemerkt einen fortschreitenden Konzentrationsprozess. 

Digitalisierung: Ein unausgeschöpftes Potenzial

Während in vielen Industriezweigen die Digitalisierung bereits fortgeschritten ist, hinkt die Bauwirtschaft hinterher. Zwar nutzen Ingenieure moderne Planungsmethoden wie Building Information Modeling (BIM), doch es mangelt an durchgängiger Digitalisierung in allen Prozessstufen. Öffentliche Verwaltungen arbeiten oft noch mit analogen Systemen, was zu ineffizienten Abläufen führt. 

“Unsere Kunden und insbesondere die öffentliche Hand sind weit davon entfernt, dass wir den gesamten Wertschöpfungsprozess digitalisiert abbilden oder digital digitalisieren können.”
Jörg Thiele, Präsident des VBI

Fachkräftemangel: Wo sind die Ingenieure der Zukunft?

Die Absolventenzahlen im Ingenieurwesen stagnieren. Gleichzeitig gibt es in anderen Branchen oft bessere Verdienstmöglichkeiten für technische Berufe. Um das Berufsfeld attraktiver zu machen, braucht es neben besseren Gehältern auch eine modernere Arbeitskultur. Ingenieurbüros müssen sich dem Wandel anpassen, um für junge Talente interessant zu bleiben.

“Die größte Herausforderung ist die, dass das Recruiting erfolgreich ist, dass wir genug neue Nachwuchsmitarbeiter kriegen. Das wird immer schwerer. Zum einen sind die Studierendenzahlen, die Absolventenzahlen, überschaubarer geworden. Auf der anderen Seite gibt es eben nicht wirklich ein level playing field mit anderen, die unsere Qualifikationen auch brauchen.”
Jörg Thiele, Präsident des VBI

Politische Rahmenbedingungen und die Zukunft der Bauwirtschaft

Bürokratie, uneinheitliche Bauordnungen und fehlende Investitionen erschweren die Arbeit von Ingenieuren und Planern. Jörg fordert eine stärkere Vernetzung und bessere politische Rahmenbedingungen, um langfristige Infrastrukturprojekte effizient umzusetzen.

“Wir leben seit vielen Jahrzehnten im Infrastrukturbereich aus der Substanz. Wir verschleißen.” 
Jörg Thiele, Präsident des VBI

 Deutschland lebt seit Jahrzehnten von der bestehenden Bausubstanz – eine Modernisierung ist überfällig. Der Schlüssel liegt in nachhaltigen Investitionen und einer neuen, partnerschaftlichen Unternehmenskultur. Nur im Schulterschluss wird es gelingen, die Herausforderungen der Zukunft und der Gegenwart zu meistern. 

Die Themen des DIGITALWERK Podcasts mit Jörg Thiele im Überblick:

  • (00:00) - Einleitung: Worum geht es in dieser Folge?
  • (02:40) - Jörgs Weg ins Ingenieurwesen
  • (06:23) - Unternehmensübernahme nach der Wende
  • (08:43) - Krise 2003/2004 und der Weg zur Stabilität
  • (12:27) - Jörgs Weg zum VBI
  • (17:52) - Recruiting und Fachkräftemangel
  • (22:52) - Digitalisierung: Fortschritte und Hindernisse
  • (30:17) - Politik und Bauwesen: Herausforderungen für die Zukunft
  • (35:40) - Der Zustand der Infrastruktur in Deutschland
  • (44:33) - Fünf schnelle Fragen an Jörg Thiele

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