Ingeborg Esser (Geschäftsführerin vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
February 7, 2023
Ingeborg Esser bezeichnet sich selbst als Oldtimer der Wohnungswirtschaft. Sie wuchs in Salzburg auf, machte dort ihr Abitur, ging zunächst nach Innsbruck zum Studieren und schließlich nach Regensburg. Die Diplom-Kauffrau ist von Hause aus Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin. Ihre Karriere begann mit der Prüfung von Wohnungsunternehmen beim Verband bayerischer Wohnungsunternehmen.
1993 wechselte sie zum Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, kurz GdW, als Referentin für Betriebswirtschaft und Steuern. Inzwischen ist sie Hauptgeschäftsführerin des GdW, der als größter deutscher Branchendachverband bundes- und europaweit mehr als 3.000 Wohnungsunternehmen vertritt. Dahinter stehen rund sechs Millionen Wohnungen, das Zuhause von zirka 13 Millionen Menschen.
Ingeborg Esser übernimmt Verantwortung. In aktuellen Lebenswelten bedeutet dies auch, sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Bereits 2014 hat der GdW in Zusammenarbeit mit dem Nachhaltigkeitsrat eine auf die Wohnungswirtschaft ausgerichtete branchenspezifische Ergänzung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex veröffentlicht. Damit wurde der Verband zum Frontrunner auf dem Themengebiet.
Das entsprechende Paper wurde inzwischen fortgeschrieben und weiterentwickelt, den globalen Veränderungen und vor allem den EFRAG-Standards angepasst. Letztere befinden sich auf EU-Ebene in der finalen Abstimmung und definieren künftig verpflichtend die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Frage, was berichtswürdig ist und was nicht, ist zentraler Bestandteil der Überlegungen und beinhaltet die Abkehr von Aussagen über die Verbräuche des eigenen Verwaltungsgebäudes, hin zur Analyse des Bestandsimmobilien-Portfolios.
Nachhaltigkeit basiert jedoch nicht nur auf ökologischen Aspekten, sondern wird gleichbewertet auch durch eine soziale und eine ökonomische Ebene getragen. Lediglich wenn alle drei Säulen in Einklang ergänzend nebeneinander wirken, kann von echter Nachhaltigkeit gesprochen werden. Zu den zentralen Fragen in diesem Zusammenhang zählen die Klimaneutralität des Wohnungsbestandes bis 2045 und damit einhergehend die Finanzierung ebendieser.
Daneben stehen Herausforderungen wie der Fachkräftemangel und Nachwuchssorgen im Handwerk, Kostensteigerungen für Sanierungs- und Baudienstleistungen und Materialien sowie Zinssteigerungen bei Kreditvergaben. Der Handwerker von Morgen muss neue Qualifizierungen vorweisen.
„Wenn das Ziel der Bundesregierung darin besteht, 500.000 Wärmepumpen im Jahr zu verbauen, dann muss man feststellen, dass der kleine Handwerksbetrieb, der bislang nur Heizungen verbaut hat, Wärmepumpen vielleicht gar nicht kann.“
Die Betriebe stehen vor der Aufgabe, das benötigte Know How aufzubauen und sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Zeitgleich sind die Hersteller in der Pflicht, standardisierte Lösungen anzubieten, die möglichst so gut vorkonfiguriert sind, dass die dann geschulten Handwerker keine Probleme beim Verbau und Einstellen der Geräte haben. Zusätzlich müssen skalierbare Technologien für größere Wohngebäude entwickelt werden. Diese würden laut Ingeborg Esser bisher fehlen.
In Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg sieht sich der Dachverband darüber hinaus mit einem weiteren konfliktbeladenen Thema konfrontiert. Und dieses trägt die Überschrift Wohnungsknappheit. Regelmäßig protestieren in Großstädten Tausende für faire Mieten und mehr Wohnraum. Wo der Zuzug in den nächsten Jahren weiter anhalten wird, besteht das Knappheitsproblem, das sich kurzfristig nicht lösen lasse.
Nötig sei eine kontinuierliche Neubautätigkeit zu vernünftigen Preisen, im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sowie in dem Segment darüber. Letzteres bezieht sich auf Alldiejenigen, die zwar die Einkommensgrenzen der sozialen Wohnraumförderung nicht mehr erfüllen, aber die sich dennoch aufgrund ihrer Einkommenssituation am Markt nicht frei versorgen können. Doch ohne Fördermittel sei dies kaum möglich, betont Ingrid Esser. In kleinen Städten sei die Situation übrigens eine andere. Teilweise verzeichnen die Wohnungsunternehmen dort Leerstände von bis zu 30 Prozent.
Als Hauptgeschäftsführerin des GdW vermittelt Ingeborg Esser zwischen den Gesellschaften, Genossenschaften und der Politik. Sie leistet Überzeugungsarbeit, insbesondere im politischen Raum, erklärt beharrlich, an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt Investitionen in die Wohnungswirtschaft nötig sind.
Ihre Resilienz wird mit Erfolg belohnt: Erst Ende 2022 wurde eine neue Förderung für serielles Modernisieren beschlossen. Der Hintergrund: Im Bereich Bauen und Modernisieren gibt es nicht mehr das einzelne Produkt, sondern ganzheitliche Lösungssysteme, die für bestimmte Gebäudearten funktionieren.
„Wir müssen uns daran gewöhnen, dass nicht jeder Neubau individuell ist, sondern dass wir seriell modular bauen, dass wir auch im konventionellen Neubau mehr modulare Elemente einsetzen und dass wir auch im Bereich der energetischen Sanierung mehr auf systemische Lösungen setzen.”
Vor knapp fünf Jahren hat der Dachverband mit seinen Mitgliedern eine Rahmenvereinbarung für serielles und modulares Bauen geschlossen. Diese war eingebettet in ein europaweites Vergabeverfahren, sodass auch die kommunalen und öffentlichen Mitgliedsunternehmen, die dem Vergaberecht unterliegen, Vorteile daraus ziehen. In 2023 wird die Rahmenvereinbarung erneuert. Der Vorteil besteht darin, dass die modularen Bauteile zu weitestgehend konstanten Preisen eingekauft werden können.
Im Zuge der Rahmenvereinbarung seien zahlreiche Bauvorhaben verwirklicht worden. Das Interesse steigt massiv und die Vorurteile, dass das Konzept mit einem „Plattenbau 2.0“ vergleichbar sei, sinken mit jedem verwirklichten Projekt. Darauf aufbauend zeichnet sich effizienzbasiert und im Hinblick auf die Klimaneutralität für die Zukunft die Integration eines digitalen Betriebssystems für alle Gebäude ab.
Hier müssen die großen Unternehmen, die die Manpower und den finanziellen Background haben, die ersten Schritte gehen. Kleinere Unternehmen brauchen laut Ingeborg Esser in der Regel einen professionellen Dienstleister, der mit ihnen diesen Weg beschreitet. Hier ist der Verband zur Stelle, der mit geeigneten Dienstleistern Rahmenvereinbarungen zu vernünftigen Konditionen schließt, auf die die Mitgliedsunternehmen zurückgreifen können.
Der GdW habe sich immer als ein „Ermöglicher“ verstanden, betont Ingeborg Esser – mit der selbst auferlegten Aufgabe, wichtige branchenbetreffende Entwicklungen früh zu erkennen und die Mitgliedsunternehmen dahingehend zu unterstützen diese Entwicklungen umzusetzen. Dies betrifft sowohl die Big Player, deren Wohnungsbestand mehr als 1000 Wohnungen umfasst, die mittelständischen Unternehmen mit einem Bestand von 500 bis 1000 Wohnungen sowie kleinere, teils ehrenamtlich geführte Genossenschaften und Gesellschaften, die weniger als 500 Wohnungen bewirtschaften.
Insbesondere die kleineren Unternehmen profitieren von der Unterstützung des Verbandes, von Arbeitshilfen zum Beispiel. Die größeren Unternehmen hingegen können ihre Erfahrungen effektiv einbringen.
Für die kommenden Monaten hat sich der GdW jedoch zunächst vorgenommen, die definierten Transformationsprozesse zu überarbeiten. Aufgrund der gestiegenen Gas- und Fernwärmepreise hat sich die Gebäudewirtschaft neue Einsparziele gesetzt.
„Wir werden nicht mehr sehen, dass in hohem Maße einzelne Gebäude modernisiert werden. Es wird stärker im Portfolio gedacht. Durch eine effiziente Steuerung wird versucht, den CO2-Verbrauch der Gebäude und damit natürlich auch der Verbrauch an Heizwärme schnell zu senken.“
Darüber hinaus sieht Ingeborg Esser kurzfristig die Notwendigkeit, sich intensiv mit den Fragen der EU-Taxonomie zu beschäftigen, da die Banken primär Finanzierungen für grüne Vorhaben bewilligen. Die Wohnungsunternehmen müssten nachweisen können, dass ihre Neubau- und Modernisierungsvorhaben tatsächlich taxonomisch konform sind.
Hierzu werden in Zukunft nicht mehr nur die ökologische, sondern auch die soziale Taxonomie zählen, für die der GdW in Kooperation mit weiteren Verbänden derzeit ein Set an Kriterien erarbeitet. Übergeordnetes Ziel ist hierbei die Definition eines gemeinsamen Standards, um damit auch innerhalb der EU wahrgenommen zu werden – ganz im Sinne eines Verbandes, der sich als „Frontrunner“ versteht.
• Warum der GdW als „Frontrunner“ gilt (00:03:01)
• Warum einige Probleme nur politisch gelöst werden können (00:16:28)
• Wie serielles Bauen die Wohnungswirtschaft verändert (00:20:10)
• Wer von wem profitiert (00:26:55)
• Welche Rolle die soziale Taxonomie spielt (00:31:11)
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Christina Mauer verrät im DIGITALWERK Podcast, wie sie durch ihr Umfeld in die Bau-und Immobilienbranche gekommen ist und warum sie sich entschloss, in der Immobilienbewertung zu promovieren. Sie erzählt, wie sie dadurch zur Gründung von einwert gekommen ist und wie das Geschäftsmodell die Erstellung von Immobiliengutachten verändern soll.
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