Gernot Strube (Co-Founder Home.Earth) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
March 7, 2023
Die Liste der Lebensweisheiten, die beschreiben, dass das Leben häufig „anders läuft als geplant“, ist lang. Für Gernot Strube treffen diese vor allem auf beruflicher Ebene zu. Aus zwei geplanten Jahren in der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey wurden drei Jahrzehnte, aus einem Leben in Deutschland, eines in Amerika, dann eines in Asien. Mit McKinsey war Gernot Strube überall auf der Welt Zuhause. Bis er die Entscheidung traf, komplett neu anzufangen, in dem dänischen Start-up Home.Earth.
Im März 2021 zog er bei McKinsey den Schlussstrich und hing seinen Posten als Senior-Partner, den er zuletzt knapp 15 Jahre bekleidete, an den Nagel. Diese Entscheidung traf er keineswegs über Nacht, sie wurde jedoch begünstigt durch die Corona-Pandemie. Die Beratung über den Computerbildschirm machte ihm keinen Spaß mehr. Es wurde Zeit, etwas anderes zu machen, sich neu zu orientieren.
Während sich Gernot Strube für McKinsey auf die Bereiche Automobile, High-Tech und Flugzeugtechnik fokussierte, kämpft er nun für eine bessere Zukunft, für eine saubere Zukunft, für eine nachhaltigere Zukunft. Seine Motivatoren sind seine beiden Töchter, für die er sich eine Welt wünscht, die er positiv mitgestaltet hat – zumindest ein kleines bisschen.
In seiner Funktion als Leiter der globalen Construction und Real Estate Practice bei McKinsey sind die Themen leistbares Wohnen und knapper Wohnraum stark in sein Bewusstsein gerückt. Um darauf Einfluss nehmen zu können, schloss er sich Home.Earth an. Und weil das Leben voller Zufälle steckt und bekanntlich „alles anders läuft als geplant“, traf er die richtigen Menschen mit dem richtigen Background und dem richtigen Spirit. Gemeinsam wollen sie neue Impulse in der Immobilienentwicklung setzen.
Home.Earth ist kein klassisches Start-up, bestehend aus einem jungen Gründerteam. Die DNA des Unternehmens besteht zu mehr als 50 Prozent aus Leuten mit mindestens 20 Jahren Berufserfahrung, darunter Kasper Guldager Jensen als einer der namhaftesten Architekten in Dänemark, der seinen Fokus auf Nachhaltigkeitsdimensionen setzt oder Carel van Houte, der für die Citizen M Hotels die Modulstrategie entwickelt hat. Ergänzt wird das Profil durch junge, passionierte Pioniere. Derzeit besteht das Team aus 22 Kolleginnen und Kollegen, Tendenz wachsend.
Home.Earth wird durch Investoren unterstützt und arbeitet stiftungsbasiert. Die Home Base ist Dänemark. Die Stiftung ist eingerichtet worden, um den Zweck des Unternehmens zu sichern, so wie in dem skandinavischen Staat üblich.
In Dänemark stehen hinter dem Begriff Stiftung in der Regel keine wohltätigen Einrichtungen, sondern Industriestiftungen, die die Aufgabe haben, Geld zu verdienen.
Home.Earth will Immobilien im gesellschaftlichen Sinne neu erfinden. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, städtische Gemeinschaften zu entwickeln, bei denen Inklusivität, Lebensqualität und Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stehen – und zwar vor dem Hintergrund, dass ein Gros der Menschen 90 Prozent ihres Lebens in Gebäuden verbringen und das hauptsächlich in Städten.
Das Konzept hinter Home.Earth besteht nicht im klassischen Real Estate Management. Der Immobilienentwickler konzentriert sich nicht primär auf die Vermarktung der Gebäude und auf schnelle Verkäufe, sondern auf die nachhaltige Entwicklung der Immobilien. Die Gebäude, die durch Home.Earth entwickelt werden, bleiben im Bestand des Unternehmens.
Die Immobilien werden bis zum Ende ihres Lebenszyklus vermietet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Home.Earth bereits bei der Immobilienentwicklung die Zukunft eines Gebäudes fest im Blick behält. Das heißt, die zirkulare Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle in diesem Modell, ebenso wie die Energiebilanz eines Gebäudes – und zwar nicht nur in Bezug auf die Gegenwart, sondern für die nächsten Jahrzehnte.
Die Strategie ist global ausgerichtet, vernetzt umweltseitige mit sozialer Nachhaltigkeit. Letztere käme laut Gernot Strube grundsätzlich zu kurz. Neubauprojekte müssten Platz für Wohnen und für kommerzielle Zwecke haben. Es müsse mehr in Quartieren gedacht werden.
„Die Einsamkeit wird ein wachsendes Problem in unseren Städten. Die kommerziellen Bereiche sind essentiell dafür, dass sich Menschen begegnen. Eines unserer Ziele besteht darin, das mentale Wohlbefinden der Menschen zu verbessern.“
Dadurch, dass Home.Earth nichts verkauft, ist der Kapitalbedarf extrem hoch und liegt zunächst bei 100 bis 200 Millionen pro Jahr. Sollte das Unternehmen weiter wachsen, erhöht sich auch der Kapitalbedarf. Bisher findet das Unternehmen Unterstützung durch Familienstiftungen. Perspektivisch sollen Pensionsfonds hinzukommen.
Einige Grundstücke hat die Company schon erworben. Neben der Entwicklung eigener Projekte, werden Bestandsgebäude angekauft und baulich wie konzeptionell aufbereitet.
Aus seiner Erfahrung bei McKinsey heraus hat Gernot Strube zwei Ansätze mitgebracht: modulares Bauen und digitales Bauen. Für letzteres nutzt Home.Earth die Software Spacemaker, die es ermöglicht ein leeres Grundstück visuell zu skalieren und die sich darauf befindlichen Gebäude von Anfang an anhand verschiedener Kriterien wie Energieeffizienz, Lärmbelästigung in den einzelnen Wohnungen oder Tageslicht in den Wohnungen zu optimieren.
Künstliche Intelligenz schafft hier, was der klassische Architekt nicht schafft: in kürzester Zeit und mit wenigen Mausklicks verschiedene Optionen auszuloten und das Optimum aus einem Gebäude herauszuholen.
Parallel dazu nutzt Home.Earth eine „Common Data Environment“ für ihre Projekte. Alle Beteiligten arbeiten in dem System, hinterlegen dort alle Projektdokumente. Die Nutzung der „Common Data Environment“ ist vertraglich verpflichtend. Sollte irgendwann ein Streit entstehen, gelten nur die Dokumente, die in diesem System abrufbar sind.
Während der Bauphase wird von der entsprechenden Immobilie direkt ein digitaler Zwilling erstellt. Ist das Bauvorhaben abgeschlossen, wird dieser in die Betriebsphase übergeben. Dadurch, dass Home.Earth nicht nur die Entwicklungs- und Bauphasen der Immobilien begleitet, sondern auch den Betrieb koordiniert, bleibt alles in einer Hand. Es gibt keinen Eigentümerwechsel – und keinen Datenverlust. Auf diese Weise können die Kosten über den gesamten Lebenszyklus detailliert aufgeschlüsselt werden, was wiederum eine Kostenanalyse überhaupt erst ermöglicht.
Digitale Zwillinge werden in der Industrie zunehmend wichtiger. Dort setzt zunehmend die Erkenntnis ein, dass Informationen nicht verloren gehen, sondern übertragen werden sollten. Für eine Gebäuderenovierung sind zum Beispiel Zeichnungen und Baupläne wichtig, um zu wissen, wie die Immobilie einst gebaut wurde. Ohne diese Pläne ist keine effiziente Renovierung möglich.
„In der Immobilienbranche werden alle Informationen, die während einer Phase angesammelt werden, bei einem Eigentümerwechsel weggeworfen. Der neue Eigentümer fängt von null an und baut sich alles wieder auf. In der Automobilindustrie wäre das undenkbar. Wir würden nie ein Auto kaufen, das nicht repariert werden kann oder bei dem unklar ist, welche Kosten auf uns zukommen.“
In Dänemark bekommen Bauherren seit Januar 2023 keine Baugenehmigung mehr, wenn sie keinen CO2-Lebenszyklusnachweis erbringen können. Die sogenannte Lifecyclecost Analysis ist dort also bereits im Bauantrag verpflichtend. Deutschland hinke in diesem Zusammenhang hinterher. Generell unterscheidet sich die Gesetzgebung zu den Analysen und zugrundeliegenden Berechnungen in den europäischen Ländern signifikant. So setzen die Niederlande beispielsweise einen 75-jährigen Lebenszyklus an, Dänemark und Finnland hingegen nur eine 50-jährige.
Um bereits in dem frühen Stadium der Gebäudeentwicklung die CO2-Lebenszyklusanalyse ausführen zu können, hat Home.Earth das Excel basierte „Carbon Dot Tool“ entwickelt, das auch bereits auf fiktive Gebäude anwendbar ist. Die Analyse erfolgt auf Basis von Strukturmaterialien, Fensterflächen usw. und zeigt in einem sehr frühen Stadium Optimierungspotenziale.
Der Durchschnitt der in den vergangenen fünf Jahren neu gebauten Gebäude in Dänemark verzeichnete auf den Lebenszyklus betrachtet rund 16 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter. Die neue Grenze, die in Dänemark eingeführt wurde, beträgt jedoch zwölf Kilogramm CO2 pro Quadratmeter. Jeder, der ab sofort neu baut, muss hinsichtlich seiner Gebäude-Klimabilanz umdenken. Home.Earth selbst sieht sich hier als Pionier und verfolgt das Ziel, unter fünf Kilogramm CO2 pro Quadratmeter zu kommen – ganz im Sinne einer besseren, nachhaltigeren Zukunft, wie sie sich Gernot Strube für seine Töchter wünscht.
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