Sarah Dungs (Geschäftsführerin der Greyfield Group und Vorstandsvorsitzende des Verbandes für Bauen im Bestand) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
May 30, 2023
Kommt die Sanierungspflicht? Und wenn ja, welche Vorgaben gibt es bei der Sanierung von Gebäuden? Bauen im Bestand ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Klimaziele der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Zeitgleich kann auf diese Weise ein moderner und bezahlbarer Raum für Wohn- und Arbeitswelten geschaffen werden. Dass die Lösung von Umweltproblemen im Gebäudebestand liegt, betont auch der Anfang dieses Jahres gegründete Verband für Bauen im Bestand (BiB).
Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, kommt es auf den Gebäudebestand an, heißt es verbandseitig. Sarah Dungs ist Vorstandsvorsitzende des BiB und zeitgleich Geschäftsführerin beim Essener Projektentwickler Greyfield. Die Gründung des Verbandes ist auf ihre Initiative zurückzuführen.
Am 1. Januar dieses Jahres ist die novellierte Bundesförderung für effiziente Gebäude in Kraft getreten. Mit neuen Förderboni und leichteren Förderbedingungen will die Bundesregierung möglichst viele Menschen bei der energetischen Sanierung ihrer Häuser unterstützen. Der Grund: Bei der Sanierung des Gebäudebestands ist der Klimaschutzeffekt am höchsten. Unter anderem wurde ein Bonus für serielles Sanieren eingeführt. Mit innovativen, seriell vorgefertigten Dach- und Fassadenelementen inklusive Installationstechnik lassen sich der Sanierungsaufwand und die Sanierungskosten deutlich reduzieren.
Derzeit wird das Gebäudeenergiegesetz (GEG) überarbeitet. Die Neuauflage soll am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Das Gebäudeenergiegesetz führt das Energieeinspargesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz zusammen und gilt daher als zentraler Baustein im Zusammenhang mit der Wärmewende. Das GEG gilt seit 1. November 2020 für alle Gebäude, die beheizt oder klimatisiert werden. Die Novellierung soll die Immobilienbranche auf Klimakurs bringen. Der aktuelle Knackpunkt: die sogenannte 65-Prozent-Erneuerbaren-Vorgabe. Dahinter steht die Idee, in Neubau und Bestandsgebäuden künftig nur noch Heizungsanlagen zu verbauen, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
Die Sanierungspflichten in Deutschland sind Teil eines europäischen Gesamtkonzepts. Seit Monaten wird innerhalb der Europäischen Union die Überarbeitung der EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden verhandelt. Weil der größte Teil des Energieverbrauchs in Europa auf Gebäude zurückzuführen ist, sollen mit der Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz Emissionen und die Energiearmut bekämpft werden. Die Novellierung der Richtlinie zielt auf einen Maßnahmenkatalog ab, mit dem die jährliche Quote der energetischen Renovierungen bis 2030 mindestens verdoppelt werden soll. Doch die EU geht noch einen Schritt weiter: Bis 2050 soll der Gebäudebestand in Europa emissionsfrei und vollständig dekarbonisiert sein.
Um die Ziele der EU zu erreichen, müssen Transformationsprozesse in Gang kommen, erklärt der BiB. Der Verband arbeitet darauf hin, Bauen im Bestand zu vereinfachen und Lösungsmöglichkeiten umsetzbar zu machen. Bestehende Normen und Richtlinien müssten angepasst werden, um das Risiko und die Komplexität des Bauens im Bestand zu minimieren.
Der BiB agiert branchenübergreifend. Um Fortschritte und neue Marktstandards zu erreichen, müssten Kompetenzen gebündelt werden. Antriebsmotor der Verbandsmitglieder ist die Vision einer Immobilienbranche, die alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllt und ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Verantwortung vollumfänglich gerecht wird.
„Wir wollen eine Stadt der Zukunft schaffen, in der es ausreichend Raum für alle Menschen gibt. Eine Stadt, deren Weiterentwicklung nicht auf Raubbau beruht. Eine Stadt, die künftigen Generationen ein lebenswertes Zuhause bietet.“
Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, braucht es vor allem eines: Ehrgeiz. Und den Willen, hart und viel zu arbeiten. Sarah Dungs lebt diesen Ansatz. 2016 stieg sie bei der Greyfield Group ein, als eine von zwei Werkstudentinnen. Das Unternehmen steckte damals noch in den Kinderschuhen. Inzwischen steht Sarah Dungs gemeinsam mit dem Gründer Timm Sassen an der Spitze der Firma.
Sarah Dungs kommt aus einer Familie, die mehrere Immobilien im Bestand pflegt. Sie selbst wohnt in einem Altbau. Nach dem Abitur studierte sie Raumplanung, fokussierte sich früh auf Immobilen und verlor ihr Herz am „alten abgerockten“ Bestand.
Der Spezialisierung der Projektentwickler von Greyfield beruht auf dem Investment und Redevelopment von Bestandsimmobilien. Darüber hinaus unterstützt die gemeinnützige Greyfield-Stiftung Projekte, die sich den Schwerpunkten Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit, Urbanität und gesellschaftliche Verantwortung widmen.
Jeder Projektentwickler der Greyfield Group betreut ein Projekt von A bis V – vom Ankauf bis zum Verkauf, wobei letzterer nur in Ausnahmen erfolgt – und trägt die komplette Verantwortung hierfür. Die Gruppe kauft zumeist leerstehende, vernachlässigte Bestandsimmobilien und modernisiert diese – und zwar entsprechend der Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer. Ein Großteil der entwickelten Immobilien verbleibt im Bestand, wenige andere gehen an interessierte Investoren.
Dass das Unternehmen mit seinem Konzept früher oder später Erfolg haben würde, war bereits vor mehr als einem Jahrzehnt absehbar.
„Schon damals war klar: Das Bauvolumen wird aufgrund der intensiven Flächennachfrage sinken. Wir haben mutig auf die richtige Karte gesetzt und um uns um das gekümmert, wofür sich niemand interessiert hat. Am Ende war es eine einfache Rechnung: Es gibt weniger Neubau als Bestand.“
Greyfield übernimmt auch die Gebäudebewirtschaftung, beginnend bei der Mieterkommunikation bis hin zum Schadensmanagement. Das Unternehmen versteht sich als Problemlöser. Die Geschäftsführung steuert nicht nach KPIs. Natürlich müsse sich eine Immobilie rechnen, doch es gehe nicht in erster Linie um das Projektvolumen. Vielmehr gehe es darum, einen Impact zu leisten und möglichst viele Menschen zu motivieren, nachhaltig und im Sinne des Klimaschutzes in den Bestand zu investieren.
CO2 ist die Kennzahl für die Zukunft. Um die Erde zu retten, muss massiv CO2 eingespart werden. Sarah Dungs sieht darin ihre Motivation. Jedes Gebäude, das Greyfield entwickelt, bekommt einen digitalen Zwilling. In dem 3D-Modell stehen alle möglichen Daten zu den verbauten Materialien zur Verfügung. Auf diese Weise wird sichtbar, wie viel CO2 in dem Gebäude steckt. Greyfield gelingt es, über den gesamten Gebäude-Lebenszyklus authentisch darzustellen, wie viele Emissionen durch selbiges entstehen.
Inzwischen stehen Investoren Schlange, um die entwickelten Immobilien in ihr Portfolio aufnehmen zu können. Das war nicht immer so. Das Startkapital, das der Projektentwickler seinerzeit benötigte, lag nicht auf der Straße. Die Geschäftsführung musste Klinken putzen, bei vielen Banken anklopfen. Die Erfolgsstrategie beruht letztlich darauf, dass das Unternehmen nie zu viel Risiko eingegangen ist und nie ausufernd investiert hat.
Greyfield verfolgt die „Ewigkeitsstrategie“. Es geht nicht darum, höher, schneller und weiter zu kommen als die anderen. Denn, wo es einen Gewinner gibt, gibt es auch immer Verlierer. Sarah Dungs sieht den Planeten als Verlierer, dessen Ausbeutung, das unaufhörliche Verschwenden von endlichen Ressourcen.
„Wir müssen mit unserem Wohlstand auch einfach mal zufrieden sein, nur das machen, was wir wirklich benötigen und für die Ewigkeit planen. Das tun wir als Unternehmer jeden Tag. Wir investieren wieder und wieder in die Immobilien. Wir haben entschieden, nur auf dem Fuße zu leben, auf dem man auch stehen kann.“
Wer alles auf ein vernünftiges Fundament aufbaut, hätte das Potential, Geschichte zu schreiben. Wer über einen langen Zeitraum erfolgreich sein möchte, braucht eine Strategie und einen langen Atem. Auch das hat Sarah Dungs aus dem Sport gelernt. Jahrelang hat sie auf höchstem Niveau Feldhockey gespielt. Diese Zeit hat sie geprägt. Den Teamgeist, den sie dabei entwickelt hat, hilft ihr heute bei der Verbandsarbeit.
Der Verband verfolgt den Zweck Wissen zu verbreiten, fokussiert auf das Thema „Bauen im Bestand“ - und zwar ausschließlich darauf. Mit dem Verbandstitel nennen die Mitglieder ihren Schwerpunkt beim Namen. BiB besteht aus vier Vorständen, um von den Stärken jedes einzelnen Mitglieds bewusst profitieren zu können. Diana Anastasija Radke, Managing Partner der KVL Bauconsult GmbH, steuert die Themen Forschung und Bildung, Nicola Halder-Hass, Geschäftsführende Gesellschafterin der Bricks&Beyond GmbH kümmert sich um alles Politische und Annabelle von Reutern, Head of Business Development der Concular GmbH, um das Thema Zirkularität im Bau.
Der Verband erarbeitet Lösungen für Probleme in allen vier Kompetenzbereichen und konzipiert dazu zum Beispiel eintägige Workshops: Am Morgen besteht ein Problem, am Abend gibt es hierfür eine Lösung - und zwar eine, die allen Verbandsmitgliedern zur Verfügung gestellt wird. Daraus entsteht der Mehrwert.
Auch Start-ups spielen bei der Verbandsarbeit eine Rolle. Die jungen frischen Ideen sind ausdrücklich erwünscht, betont Sarah Dungs. Am Ende zählt der Dialog zwischen den „Neuen“ und erfahrenen „Alten“. Am Ende zählt die Diversität. Am Ende zählt das Bewusstsein dafür, nur gemeinsam die Klimaziele erreichen zu können.
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