Thomas Wagner (Geschäftsführer in B&O Service Gruppe) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
April 18, 2023
Thomas Wagner ist kein unbekanntes Gesicht im DIGITALWERK Podcast. Schon 2020 war er bei uns zu Gast und hat uns verraten, mit welchen Herausforderungen das Handwerk zu kämpfen hat.
Nun sind knapp drei Jahre vergangen und Thomas Wanger erzählt, dass die Herausforderungen nicht weniger, sondern eher größer wurden.
Zum Fachkräftemangel, der nach wie vor ganz oben auf der Tagesordnung steht, haben sich jede Menge gesellschaftliche Entwicklungen gesellt, die zur Herausforderung werden.
Urbanisierung, steigende Zinsen, Auftragsrückgang. Dass beispielsweise Vonovia Anfang des Jahres verkündet hat, 2023 keine Neubauprojekte zu starten, scheint nur ein Beispiel zu sein, das zeigt: Die fetten Jahre sind vorerst vorbei - oder legen zumindest eine Pause ein.
Gute Nachrichten fürs Handwerk gibt es (zumindest auf den ersten Blick) aus der Politik. Mit seinem Ziel, bis 2030 6 Millionen Wärmepumpen einzubauen, schafft Robert Habeck jede Menge neue, zukunftsträchtige Aufträge für Handwerker. Doch was auf den ersten Blick durchaus positiv klingt, fällt für Thomas Wagner im Realitätscheck durch:
“Wenn wir uns vor Augen führen, dass ich aktuell als Privatkunde oder vier Monate warte, bis überhaupt ein Heizungs- und Sanitärmonteur zu mir nach Hause kommt, dann stelle ich mir die Frage: Wer soll da überhaupt dieses Ziel erreichen?”
Als die B&O Services GmbH ist mit dieser Problematik täglich konfrontiert. Denn auch wenn die Auftragsbücher nach wie vor gefüllt sind, fehlen weiterhin ausreichend Fachkräfte, um die Arbeiten durchzuführen - Tendenz steigend.
“Wenn wir 1 Million Schäden in deutschen Wohnungen pro Jahr reparieren, machen wir nichts anderes, als uns immer wieder die Frage zu stellen.: Wie kriegen wir die richtigen Handwerker:innen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort, um den Schaden zu reparieren?”, so Thomas Wagner.
Hinzu kommt, dass in den nächsten fünf Jahren für rund 125.000 Betriebe, das sind über 12% aller Handwerksbetriebe, Nachfolger gesucht werden müssen. Selbst mit einer Ausbilungsoffensive, scheint dies ein Ding der Unmöglichkeit. Denn auch wenn Gesell:innen nicht leicht zu finden sind: Bei Meister:innen wird es noch schwieriger. Vor allem mit Blick in die Zukunft muss für dieses Problem daher nun endlich eine Lösung her.
Thomas Wagner hat auf diese Frage eine klare Antwort: Das Handwerk muss wieder sexy werden. Wie das gelingen kann? Für Thomas Wagner sind dafür sowohl politische Maßnahmen als auch ein Umdenken in der Gesellschaft nötig. Denn obwohl die meisten handwerklichen Berufe elementare Dienste für das Leben erbringen, entscheiden sich die meisten jungen Leute dagegen.
“Wenn du heutzutage zehn junge Menschen vor dir hast, entscheiden sich sechs davon, zu studieren. Das ist 50 % mehr als vor 20 Jahren”.
Für Thomas Wagner resultiert diese Entwicklung nicht zuletzt von der fehlenden Werkschätzung. “Wir haben es als Gesellschaft verschlafen [...] den Leuten genug Tribut entgegenzubringen oder die Leistung zu schätzen, die ein Heizungs-, Sanitärmonteur oder ein Elektriker erbringt. Und auch anzuerkennen: Das ist eine Leistung für uns alle. Denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis.”
Neben dem gesellschaftlichen Umdenken sieht Thomas Wanger vor allem auch die Politik in der Pflicht, sich diesem Problem anzunehmen. Dies heißt einerseits, realistische Pläne zu machen - ander als beispielsweise bei dem oben genannten Vorhaben mit den 6 Millionen Wärmepumpen. Andererseits heißt dies aber auch, einen einheitlichen Rahmen zu schaffen, in dem die Branche sich weiterentwickeln und standardisierte Prozesse etablieren kann, die die Effizienz erhöhen. Hier kann auch die Digitalisierung ihren Teil beitragen - allerdings hat sie im Handwerk auch Grenzen.
Seien es Banken, Shopping oder Gesundheit: Die Digitalisierung macht uns in vielen Bereichen das Leben leichter. Ob dies im Handwerk auch so ist? Thomas Wanger ist hier geteilter Meinung. Er sieht einerseits Chancen, aber gleichzeitig auch nicht die Lösung aller Probleme. Denn wie der Name schon sagt: Beim Handwerk wird mit der Hand gewerkt. Und dies geht nur vor Ort. Digitale Tools können zwar den Papierkram reduzieren, Planungsprozesse vereinfachen und so die Effizienz steigern. Bei der tatsächlichen Arbeit ist aber nach wie vor Handarbeit gefragt.
Potenzial für Effizienzsteigerung sieht Thomas Wagner vor allem auch in der Standardisierung. Mit dem Prinzip der seriellen Fertigung könnten Standards geschaffen werden, die den Bürokratischen Aufwand reduzieren. Neubauprojekte könnten so schneller und unkomplizierter realisiert werden. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Urbanisierung könnte dies ein Lösung sein, um bezahlbaren Wohnraum trotz der zunehmenden Herausforderungen im Handwerk realisieren zu können.
Ob Roboter hier Abhilfe schaffen können? Das kommt laut Thomas Wagner auf die Art des Bauwerks an. Während er Robotern im klassischen Bestandsbau oder Altbauten mit unterschiedlichen Bodenhöhen etc. skeptisch gegenüber steht, sieht im standardisierten Neubau durchaus Chancen - jedoch eher mit Blick in die Zukunft:
“Ich würde sagen, im Bestand müssen wir mindestens noch 10 bis 15 Jahre warten, bis Roboter dann wirklich einen erheblichen Mehrwert liefern.”
Wenn es nicht die Digitalisierung und auch nicht die Politik ist, stellt sich die Frage: Wie kann Arbeiten im Handwerk attraktiver gestaltet werden? Bei Bürojobs setzen viele Firmen dabei auf Benefits wie Remote Work, ergonomische Möbel, Obstkörbe oder eine 4-Tagewoche. Solche Vorteile im Handwerk anzubieten, ist aufgrund der Natur der Arbeit gar nicht so einfach.
“Du kannst im Handwerk nicht einfach sagen, ich biete jetzt mal einen Handwerker im Homeoffice an und einen höhenverstellbaren Schreibtisch.”
Auch mit der Ausrüstung oder neuen Fahrzeugen könne man Fachkräfte heutzutage nicht mehr beeindrucken.
Weder verbesserte Arbeitsbedingungen, noch die Digitalisierung scheinen also die Herausforderungen im Handwerk lösen zu können. Wer oder was ist es dann?
Es sind alle gefragt: Politik, Gesellschaft und Industrie. Nur gemeinsam kann es gelingen, dass wieder mehr Menschen für die Arbeit im Handwerk begeistern werden können, die viele Grundbedürfnisse gesichert werden. Und nur gemeinsam kann es gelingen, dass das Handwerk wieder sexy wird. Packen wir’s an!
Wenn diese Folge für dich interessant war und Dir dieser Beitrag gefallen hat, dann schau doch auch einmal hier vorbei:
Michael Kessler verrät im DIGITALWERK Podcast, wie er zur Gründung von HERO gekommen ist und warum er sich entschloss, die Handwerker-Vermittlungsplattform in ein effizientes Betriebssystem für Handwerker zu entwickeln. Er erzählt, warum Investoren ein großes Interesse an diesem Bereich haben und warum wir ohne Handwerker unsere Klimaziele nicht erreichen können.
Jetzt im Blog lesenJannik Schall gibt im DIGITALWERK Podcast Einblicke in das Geschäftsmodell von 1 KOMMA5° und erzählt, wie sie aufgekaufte Handwerksbetriebe und Unternehmer motivieren, an der Nachhaltigkeitsvision zu arbeiten, um Eigenheime klimaneutral zu machen.
Jetzt im Blog lesen