Prof. Amandus Samsøe Sattler (Präsident des DGNB und Architekt) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder DIGITALWERK)
May 9, 2023
Ursprünglich hätte Amandus Samsøe Sattler lieber Kunst studiert. Gut, dass er es nicht gemacht hat, denn er hat, als Partner bei Allmann Sattler Wappner, eines der größten Architekturbüros Deutschland aufgebaut, ist Professor für Architektur und zudem noch Präsident der DGNB. Nun hat er sich entschieden, noch mal neu zu gründen, das ensømble studio architektur in Berlin.
Früh hat Amandus Samsøe Sattler begonnen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Begonnen hat alles im Studium, gefolgt vom ersten Job in einem Zimmereibetrieb, in der Holzbauten nach amerikanischem Vorbild gebaut und geplant wurden. Schnell erkannte er, dass Nachhaltiges Bauen kein Trend oder Modewort sein darf und vor allem in der Baubranche, der Planung, Errichtung und dem Betrieb von Gebäuden ein unglaubliches Potenzial steckt.
„Ich habe immer gedacht: Ja, gut, kein Schnitzel, kein SUV, kein Flug, da kann man CO2 sparen. Aber wirklich gespart werden kann, wenn ich ein Haus umbaue, anders oder vielleicht gar nicht baue.“
Als Architekt:in hat man, Amandus Samsøe Sattlers Meinung nach, also einen großen Einfluss.
„Wir werden am wirksamsten, wenn wir die Prinzipien des nachhaltigen Bauens in unserer Arbeit umsetzen.“
In seiner Funktion als Professor, aber auch bei seiner Arbeit als Architekt beschäftigt er sich viel mit dem Bauen im Bestand, Nachverdichtungen, Umnutzungen und Umbauten. Viele Dinosaurier wie alte Parkhäuser, leer werdende Kaufhäuser bieten ein unglaubliches Potenzial.
Als Partner von Allmann Sattler Wappner hat Amandus nach eigenen Aussagen gut 20 Jahre lang geackert, wie ein Ochse. Dann stellte sich langsam der Erfolg ein. Heute beschäftigt das Büro über 150 Mitarbeitenden, man könnte also sagen, das Ackern hat sich gelohnt.
Ein Schlüsselprojekt für das Architekturbüro war die Herz Jesu Kirche in München. Ein komplett verglastes Gebäude, innen mit Holzlamellen ausgestattet, für die der Funktionserhalt im Sommer und im Winter simuliert werden musste.
Vor allem der Sommer stellte eine Herausforderung dar. Eine Klimaanlage kam nicht in Frage, also wurden verschiedene Maßnahmen kombiniert z.B. eine natürliche Entwärmung. Bei diesem Prinzip wird Außenluft unter dem Gebäude, durch die Kirche hindurchgeführt und oben ausgeleitet. Die aufgestaute Wärme wird von der Luft mitgenommen. Auch eine Grundwasserkühlung, also ein Wärmetauscher im Grundwasser, wurde eingesetzt, um den Boden und die Decke zu kühlen. Selbstverständlich wurde auch Verschattung eingesetzt.
Und genau hier liegt das Geheimnis des nachhaltigen Bauens: Die individuelle, standortbezogene Kombination mehrerer Maßnahmen führt zum Ziel.
Weil Amandus Samsøe Sattler sich weiterhin genau mit solch innovativen Lösungen beschäftigen wollte, die ohne viel Strom oder High Tech auskommen, hat er sich entschieden, noch einmal neu zu starten.
Als Berater oder auch als Planer setzt er nun Projekte um, die seine Herzensthematik, das nachhaltige Bauen, in den Fokus stellen.
„Ich habe neu gegründet, weil ich jetzt radikaler und eindeutiger nur Projekte machen möchte, die wirklich neue Dinge ausprobieren“
So betreut er aktuell den Umbau eines alten Parkhauses zu einem Hotel, in Berlin. Alte Bauteile wie Rampen oder Decken werden aus dem Parkhaus ausgebaut und in einem Holzhybridbau, der im Hinterhof neu entsteht, wiederverwendet.
Auch Materialien aus dem Nachbargebäude, einem alten Karstadt, finden in dem Gebäude eine neue Verwendung. So werden alte Rolltreppenstufen als Fassadenelemente eingesetzt. Diese haben natürlich eine besondere Form, Rillen und eine gewisse Materialstärke, die an der Fassade zunächst ungewohnt wirkt. Die Halterung benötigt außerdem eine individuelle Zulassung und ein Zertifikat, das Kosten und Aufwand erfordert. Dieser lohnt sich aber, denn durch die Wiederverwendung der Materialien wird eine enorme Menge CO2 eingespart.
Bei der DGNB – der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen übernimmt Amandus Samsøe Sattler seit 2015 die Rolle des Präsidenten.
Das Ziel bei Gründung der DGNB war es, alle Player der Immobilienwirtschaft und der Bauwirtschaft zu vereinen und gemeinschaftlich an Projekten zu arbeiten. Heute wird es genau so praktiziert. Die Mitglieder sind Hersteller, Investoren, Architekten und Ingenieure.
Auch wenn der Gedanke des nachhaltigen Bauens noch nicht in allen Köpfen angekommen ist, so gibt es Projektentwickler oder auch Unternehmen, die einen großen Wert auf die Zertifizierung ihrer Gebäude legen – unabhängig von Preis und Aufwand.
Dieser hält sich, im Vergleich zu den Projektkosten, meistens in Grenzen. Vor allem der Auditor, der die Planung und die Errichtung des Gebäudes als Fachplaner begleitet, erzeugt die Kosten. Die DGNB prüft dann im Anschluss das Gebäude und stellt das Zertifikat aus.
Zur DGNB ist Amandus Samsøe Sattler zunächst mit einem Anliegen gekommen. 2009 entwickelte er für Audi einen Showroom nach einem Baukastenkonzept. Dieser wurde 800-mal gebaut, weltweit aufgestellt und sollte zertifiziert werden.
In Stuttgart wurde damals ein solches Zertifikat für Handelsbauten entwickelt und er wollte mitwirken. Gut hundert Personen aus allen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft erarbeiteten dieses Zertifikat gemeinsam und brachten es dann auch auf die Straße.
Als er merkte, dass in der Architektenschaft die Annahme vorherrschen, dass sich Ästhetik und Nachhaltigkeit ausschließen, war sein Ehrgeiz gepackt.
Bis heute versteht er es als seine Aufgabe Menschen, Studierende, aber vor allem Kolleginnen und Kollegen, über die Möglichkeiten des nachhaltigen Bauens zu informieren und aufzuklären.
Mit heute gut hundert Mitarbeitenden kümmert sich die Gesellschaft um die Zertifizierung unterschiedlicher Gebäudetypologien, die Zertifizierung des Bestandes, von Baustellen oder des Rückbaus. Zudem organisiert der Verein viele Initiativen, wie z.B. die Phase Nachhaltigkeit, an denen man auch ohne Mitgliedschaft umsonst teilnehmen kann. Außerdem sind Wissensvermittlung und Wissensstiftung zwei ganz große Themenbereiche des Vereins.
Wir sind deshalb stolz darauf, dass DIGITALWERK die DGNB bei der Konzeption und Umsetzung eines neuen E-Learning-Konzeptes unterstützen konnte.
Amandus Samsøe Sattler glaubt, dass vor allem die Finanzkrise 2008 dafür verantwortlich ist. Gebäude als Anlageobjekt waren eine von wenigen noch lukrativen Optionen, allerdings nur bei einem geringen Risiko. Mit neuen Bauarten oder Materialien wurde so gut wie gar nicht experimentiert. Gesetze und Normen lähmen uns zusätzlich.
„Wir brauchen Mut und wir müssen es jetzt machen! Wir haben lang genug geredet und uns lange genug gefürchtet - jetzt ist es so weit!“
Beim Nachhaltigen Bauen, so sagt Amandus Samsøe Sattler, geht in erste Linie auch darum, sich mit dem Gedanken der Suffizienz - also der Frage nach dem richtigen Maß - auseinander zu setzen.
Muss in einem Hotel wirklich eine Klimaanlage vorhanden sein, die das Zimmer auf 18 Grad herunterkühlt? Brauchen wir immer mehr Komfort in unseren Gebäuden? Müssen Gebäude an allen Orten der Welt gleich aussehen?
In der Schweiz, in Dänemark, Belgien und Holland sind bereits viel mehr nachhaltige Projekte umgesetzt worden, die zum Teil mit Forschungsteams begleitet wurden, sodass Maßnahmen und deren Erfolge nachvollziehbar sind.
Auch die Dokumentation der verbauten Materialien in beispielsweise einem Gebäude-Ressourcen-Pass ist ein wichtiger Bestandteil des nachhaltigen Bauens. Nur durch die Information darüber, welche Materialien in einem Gebäude verbaut werden, kann die richtige Instandhaltung, der Rückbau oder eine Wiederverwendung geplant und umgesetzt werden.
„Bei Neubauten muss der Gebäude-Pass zum Standard werden. Das steht auch im Koalitionsvertrag der Regierung. Aber so wahnsinnig viel ist noch nicht passiert.“
Eine Arbeitsgruppe, in der auch Amandus Samsøe Sattler mitgewirkt hat, hat nun einen solchen Gebäuderessourcen Pass entwickelt.
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Madaster betrachtet die Kreislaufwirtschaft als zukunftsweisend auf dem Weg zur Klimaneutralität. In einem Kataster erfasst das Unternehmen Daten über Materialien und stellt diese der Immobilienwelt zur Verfügung. Wie die Informationen in die Datenbank kommen, warum Madaster stiftungsbasiert arbeitet und welche Rolle die Kennedys dabei spielen, erklärt Patrick Bergmann im DIGITALWERK Podcast.
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