Im Nordwesten Saudi-Arabiens entsteht eins der größten und futuristischsten Siedlungsprojekte unserer Zeit. Unter dem Projektnamen NEOM entstehen auf einer Fläche von 26.500 Quadratkilometern mehrere Bauprojekte, darunter ein Seehafen namens “Oxagon”, eine vor kurzem eröffnete Ferienresortinsel namens “Sindalah” oder auch ein riesiges Skiresort. Ein Kernprojekt von NEOM ist die bandförmig angelegte Wüstenstadt The Line, die wir in diesem Artikel vorstellen wollen.
Warum baut Saudi-Arabien plötzlich wie verrückt?
Das Königreich Saudi-Arabien und sein Herrscherhaus stehen vor einer riesigen Transformationsaufgabe. Durch den Einbruch der Ölpreise im Jahr 2014 fand ein Umdenken im Land statt. Es stellte sich die Erkenntnis ein, dass die unter dem Wüstensand schlummernden Ölreserven nicht nur endlich sind, sondern ihr Absatz auch von globalen Entwicklungen, Krisen und Paradigmenwechseln abhängig ist.
Welche Ziele verfolgt Saudi-Arabien mit The Line?
In einer Welt, in der sich Staaten Klimaziele geben und bis 2050 eine weitgehend emissionsfreie Gegenwart anstreben, sinkt die Bedeutung fossiler Brenn- und Treibstoffe. Mit dem 2017 vorgestellten Projekt NEOM und seinen Bauprojekten will Saudi-Arabien die Welt auf sich aufmerksam machen. Die Leuchtturmprojekte sollen Investoren, Urlauber und Arbeitnehmer ins Land locken.
Wie groß soll the Line werden?
Als Kern von NEOM wurde die bandförmig geplante Stadt The Line vorgestellt. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman stellte die Pläne 2021 vor. The Line sollte sich ursprünglich 170 Kilometer lang durch die Wüste ziehen. Nach einigen Einstampfungen peilt man jetzt eine Länge von 2,4 Kilometern an, eine Breite von 200 Metern und eine Höhe von 500 Metern. Ganze 300.000 Einwohner sollen in der fertigen Stadt später eine Heimat finden.
Saudi-Arabien bezeichnet die Stadt selbst als “die Revolution des städtischen Lebens” und als “zivilisatorische Revolution”, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. In der ursprünglich 170 Kilometer langen, ersten Version wurde diese Behauptung zumindest schon einmal rechnerisch widerlegt. Der Mathematiker Rafael Prieto-Curiel und der Physiker Dániel Kondor vom Complexity Science Hub Vienna kamen zu dem Ergebnis, dass zwei Bewohner von ‘The Line” im Schnitt 57 Kilometer auseinander leben.
Wie bewegt man sich innerhalb von The Line fort?
Ursprünglich war geplant, eine Hochgeschwindigkeits-U-Bahn für den Transport innerhalb der Stadt einzusetzen. Mit einer Geschwindigkeit von über 500 Kilometern pro Stunde sollte man ohne Zwischenhalte von einem Ende ans andere gelangen - ein Szenario, dessen Sinn direkt bezweifelt werden kann. Oberirdisch soll The Line aber nach wie vor Fußgängern zur Verfügung stehen.
Macht eine bandförmige Stadt überhaupt Sinn?
Prieto-Curiel bezeichnete die lineare Form als “die am wenigsten effiziente Form einer Stadt” und verwies auf die Rundform der Stadt, die sich in der Menschheitsgeschichte durchgesetzt hat. Dennoch soll The Line in der verkürzten Form neue Maßstäbe setzten: ohne Autos, Straßen und mit 100 % erneuerbaren Energien soll die Stadt am Laufen gehalten werden. Die Außenfassade der Stadt soll komplett verspiegelt daher kommen.
Warum gibt es Kritik an The Line und anderen Projekten?
Saudi-Arabien und NEOM wie auch The Line stehen seit jeher in der globalen Kritik. Stararchitekt Norman Foster und auch Rem Koolhaas zogen sich vom Projekt zurück, nachdem bekannt wurde, dass der saudische Journalist Jamal Kashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul getötet wurde. Auch wurden für die Planung von The Line im Vorfeld Dörfer dem Erdboden gleich gemacht, traditionell ansässige Stämme und ihre Mitglieder sollen für das Mega-Projekt vertrieben worden sein.
Wie äußert sich das Land zu den Vorwürfen?
Zu diesen Vorwürfen ist aus Saudi-Arabien selbst nur wenig bis gar nichts zu erfahren, auch zum Baufortschritt und Planungsänderungen hält man sich generell bedeckt. Baustellenbilder gibt es wenige, viele Satellitenbilder geben Einblicke in den Fortschritt. Offizielle Websites zum Projekt sind voll von futuristisch anmutenden, hochqualitativen Renderings, die wenig mit dem fertigen Bau gemeinsam haben dürften.