Leopold Spenner (rechts) mit DIGITALWERK-Gründer und Podcast-Gastgeber Michél-Philipp Maruhn
February 9, 2022
Schon als Kind hat Leopold Spenner im Beton- und Zementwerk seiner Eltern in Nordrhein-Westfalen ausgeholfen und seine Begeisterung für die Herstellung der wichtigsten Rohstoffe der Baubranche innerhalb mehrerer Sommerferien erhalten. Der logische Schritt nach dem Abitur war das Studium in Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau. Doch nicht, um als angestellter Ingenieur zu arbeiten,sondern um sein praktisches Wissen theoretisch zu ergänzen und sich auf die Gründung seines eigenen Unternehmens vorzubereiten.
Als Leo 16 Jahre alt war, wurde in Europa der CO2 Emissionshandel ins Leben gerufen – ein harter Schlag für seine Familie, denn die damit einhergehenden Kosten für eine Tonne Co2 brachte die Familie in Aufruhe. Diese Veränderung hat Leo nachhaltig geprägt, denn seitdem wusste er, dass das Schlüsselthema seines Berufslebens die Dekarbonisierung von Beton und Zement sein würde.
Zement und Beton machen über die Hälfte aller weltweit produzierten Materialien aus. Dabei ist Zement das Bindemittel von Beton, bestehend aus einer Mischung von natürlichen Stoffen wie Sand, Wasser und Kies. Beton besteht hingegen aus Kalkstein, der für die Herstellung erhitzt wird. Dieser Prozess löst eine unvermeidbare chemische Reaktion aus und führt durch die Kalzinierung zu einer Entweichung von CO2. Allein aus dem Zement- und Betonwerk von Leos Eltern kommen jeden Tag 3.000 Tonnen CO2 heraus. „Das entspricht 30 Zügen, wenn man es verflüssigt und macht im Jahr 1 Millionen Tonnen CO2 aus – eine gigantische Menge“, so Leo.
„Mit 8% ist die Beton- und Zementherstellung eine der weltweit intensivsten CO2 Sektoren. Wir stehen vor einer gewaltigen Klimakrise und müssen die Zahl so schnell wie möglich auf null bekommen.“
Vor drei Jahren hat Leo bei einem Firmengründungsprogramm seinen Co-Founder, Dr. Robert Meyer, kennengelernt und alcemy gegründet, um seiner Mission nachzugehen. alcemy entwickelt eine cloudgestützte Software, die den Mitarbeitern im Werk eine präzisere Herstellung von Beton und Zement mit weniger Manpower durch die Überprüfung der Qualität der Materialien ermöglicht. Diese Anzeige ist von elementarer Wichtigkeit, denn aufgrund der natürlichen Begebenheit der Materialien schwankt deren Qualität in Abhängigkeit von Temperaturunterschieden,Witterungs- sowie Feuchtigkeitsverhältnissen. Beton als Baustoff ist jedoch ein Ingenieursprodukt, welches immer die gleiche Qualität besitzen muss, um verwendet werden zu können. Daher muss die Zement- und Betonrezeptur bei jeder Charge fortlaufend auf die Gegebenheiten der Materialien angepasst werden.
„Derzeit ist die Herstellung und Aussteuerung von Beton und Zement ein völliger Blindflug. Es ist heute kaum bis gar nicht möglich, die Qualität der Materialien zu messen, beansprucht extrem viel Manpower, ist sehr aufwendig und zeitintensiv.“, erzählt Leo im DIGITALWERK Podcast.
Eine große Herausforderung, denn der effektivste Weg, um denBaustoff zu dekarbonisieren braucht eine viel höhere Präzision. Die Technologie setzt diesem Blindflug ein Ende, denn die Software ermöglicht eine automatisierte Kontrolle der Materialbeschaffenheit und Feinjustierung der Rezeptur. Durch die Nutzung der Daten aus Versuchsergebnissen im Werk kann die Qualität der natürlichen Materialien prognostiziert werden.
Die Daten greift alcemy aus Zement- und Betonwerken ab. DerStand der Digitalisierung beider Werke ist jedoch ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während Zementwerke hinsichtlich des Grads der Digitalisierung und der angewandten Technologien wie Robotik oder Sensorik eher mit der modernen Prozess- oder Chemieindustrie verglichen werden können, „sitzt in einer Betonanlage meist ein Mensch, kippt etwas zusammen und befüllt dann den Fahrmischer, der den Beton anschließend zur Baustelle fährt.“ Somit ist die Übermittlung von Echtzeitdaten durch ein Zementwerk ein leichtes Spiel, wohingegen die Daten aus den üblicherweise kleinen Betonwerken aus zwei Quellen kommen – dem Fahrmischer und dem Werk selbst. Der Statusquo zeigt demnach, dass es noch ordentlich Nachholbedarf gibt, denn der wichtigste Hebel für die Beschleunigung der Dekarbonisierung dieser Branche ist mit möglichst standardisierten Schnittstellen zu arbeiten. Eine immense technische Herausforderung, die jedoch nicht unmöglich ist.
Derzeit ist die Beton- und Zementherstellung weltweit auf einem ähnlichen Level. Leo erzählt im DIGITALWERK Podcast, dass es „überall auf der Welt keine wirkungsvollen Werkzeuge gibt, um mehr Präzision zu erreichen, ohne über Manpower zu gehen“. Bei der Betontechnik und in der Forschung von CO2-armen Methoden führt Europa mit Japan zusammen. Hinsichtlich des Digitalisierungsgrads und der verfügbaren Daten liegt Amerika hingegen an erster Stelle. Die nächsten Schritte von alcemy sind daher neben der weiteren Entwicklung und Optimierung der eigenen Produkte die Skalierung in weitere Märkte und Geografien. Der bisherige Fokus auf den DACH-Markt wird sodann vorallem durch weitere Märkte Europas sowie den US-Markt ergänzt. Außerdem arbeitet alcemy daran, die Software so auszubauen, dass auch die ganz großen Werke, wie zum Beispiel „HeidelbergCement“, bedient werden können.
Leo findet die Ausgangslage für die Digitalisierung und Dekarbonisierung der Baubranche in Europa und insbesondere in Deutschland besser als in anderen Ländern. Mit alcemy haben Leo und sein Co-Founder spürbar bessere Chancen als in den USA, gerade weil auf eine so tiefgehende und vielfältige Forschung, auf Wissen und auf technisches Know-how zurückgegriffen werden kann. Zudem gibt es in Deutschland Industrieverbände und ein großes Netzwerk, welches viele Möglichkeiten eröffnet.
„Unsere Generation hat eine riesige Herausforderung vor sich,um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Lasst uns als unsere Generation auf den CO2-Breakdown schauen und lasst uns den Branchen zuwenden, bei denen wir sehen, dass der CO2-Ausstoß am größten und die Dekarbonisierung am schwierigsten ist. Gerade in Europa haben wir enorme Potentiale! Solche Chancen werden häufig nicht erkannt, doch unsere Generation kann so viel ausrichten und diese Innovationen werden dringend benötigt“, so Leo.
Wer keine Idee hat, soll sich so wie er selbst bei einem Gründungsförderprogramm anmelden. Man muss nämlich nur seine Spezialgebiete kennen, diese mit anderen veränderungswilligen Gründern übereinander legen und sich auf die größten Probleme der heutigen Zeit stürzen. Nur so kommt man laut Leo systematisch vorwärts und dafür möchte er Mut machen.
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