Nach der Europawahl: Rote Karte für die Ampel - und ihre Baupolitik?

June 12, 2024
Autor/in:
Thomas Lippold

Am vergangenen Sonntag mobilisierte die Europawahl ganz Deutschland. Das Ergebnis ist eine rote Karte an die Ampelregierung um Bundeskanzler Scholz und ihren Politikkurs.

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iStock

Am vergangenen Sonntag mobilisierte die Europawahl ganz Deutschland. Das Ergebnis ist eine rote Karte an die Ampelregierung um Bundeskanzler Scholz und ihren Politikkurs. Nach dem noch vorläufigen Ergebnis ging als Wahlsieger die Union mit 23,7 % aller Stimmen hervor, gefolgt von der Alternative für Deutschland, die 15,9 % aller Stimmen erhielt. Auch die Kanzlerpartei SPD wurde mit 13,9 % abgestraft (2019: 15,8%), allerdings nicht so stark wie die Grünen: ganze 8,6 Prozentpunkte verlor die Regierungspartei an Wählerstimmen und holte 11,9 % (2019: 20,5 %). Auch der Koalitionspartner FDP verlor marginal Stimmen und holte 5,2 % (2019: 5,4). 

In der Bau- und Immobilienbranche dürfte das Wahlergebnis für wenig Überraschung gesorgt haben. Kurz vor dem wichtigsten Branchentag des Jahres 2024, dem Tag der Bauindustrie, der am 05. Juni stattfand, sorgte der veranstaltende Hauptverband der Deutschen Bauindustrie mit einer Pressemitteilung für Beunruhigung. Bauindustrie-Präsident Peter Hübner äußerte sich am Tag zuvor wie folgt: “Wir befinden uns im vierten Jahr der baukonjunkturellen Schwäche. Eine Wende wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Wir sind ins Jahr gestartet mit einer Prognose von minus 3,5 Prozent. Diese haben wir auf minus 4 Prozent nach unten revidiert. Grund ist, dass auch der Öffentliche Bau schwächer laufen wird als erwartet.“

IW-Studie: Deutschland muss mehr investieren

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln erstellte für die Bauindustrie eine Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bauwirtschaft, die zu folgenden Ergebnissen kam:

  1. Bau ist ein immens wichtiger Wirtschaftszweig dessen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung im Jahr 2019 bei 7,5 Prozent lag.
  2. Wenn die Bauinvestitionen um 10 Prozent steigen, steigt das BIP um 1 Prozent.
  3. Zur Erreichung der Klimaschutzziele sollten besser sogar 66 statt 33 Milliarden Euro jährlich investiert werden.
  4. Der öffentliche Bau muss anziehen: Dort sollten die Investitionen bis 2030 jährlich um 75 Milliarden Euro steigen.
  5. Das IW schätzt, dass die Investitionen in den Wohnungsbau um gut 20 Milliarden Euro steigen müssten, um erforderliche 355.000 Wohnungen fertigzustellen.

IW-Studienautor Prof. Dr. Michael Voigtländer kommentierte die Ergebnisse so: “Ohne eine Verbesserung der Infrastruktur kann die Wettbewerbssituation Deutschlands nicht verbessert werden, und ohne mehr Investitionen in den Gebäudebestand lassen sich die Klimaschutzziele nicht erreichen.” Außerdem dämpfte Voigtländer die Erwartungen, dass der Fachkräftemangel in Zukunft verschwinden könnte. Stattdessen müssen zusätzliche Investitionen mit einer größeren Produktivität gemeistert werden: “Daher gilt es umso mehr, durch zum Beispiel serielle Produktion und bessere regulatorische Rahmenbedingungen die Produktivitätspotenziale der Bauwirtschaft zu heben.“

Hochkarätige Speaker beim TBI24: 1 Kanzler und 4 Minister

Dunkle Wolken vor- und über dem wichtigsten Tag der deutschen Bauindustrie. Zum TBI selbst erschienen am Mittwoch in Berlin so viele Menschen, dass selbst der Veranstalter vom Andrang überrascht war. Bis unters Zeltdach stapelten sich die Vertreter und Entscheider aus Bau- und Immobilienbranche sowie zahlreiche Pressevertreter und Ehrengäste. Das Lineup der Speaker war so hochkarätig, wie es nur selten auf ähnlichen Events der Fall sein dürfte: innerhalb von wenigen Stunden traten Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bauministerin Klara Geywitz und Finanzminister Christian Lindner hinters Rednerpult. 

Scholz verspricht wieder Änderungen 

Dementsprechend groß waren die Erwartungen vor den Redebeiträgen. Kanzler Scholz forderte mehr neue und bezahlbare Wohnungen und warnte vor Verhältnissen, in denen erst Menschen mit niedrigem und später mit hohem Einkommen aus den Städten verdrängt werden. Aussagen, die in der Breite der Gesellschaft für einiges Kopfschütteln sorgen dürften - ist doch die Wohnungslage in Großstädten wie München oder Berlin für Normalverdiener bereits katastrophal. Versprechen machte Scholz bei der Erleichterung der Bürokratie am Bau: “Wir setzen zur weiteren Beschleunigung jetzt außerdem auf voll digitalisierte Verfahren mit mehr Möglichkeiten, diese abzukürzen, auf klarere Fristenregelungen und auf vorzeitigen Baubeginn,” so Scholz. Auch den Plan der Koalition, eine umfassende Reform des Vergaberechts anzugehen, verfolge man weiterhin - “Den Gesetzgebungsvorschlag dazu legen wir in Kürze vor,” versprach Scholz am vergangenen Mittwoch. 

Verschleppte Wohnungspolitik als sozialer Sprengstoff

Dass das vorläufige Wahlergebnis der Europawahl vom Sonntag ein Denkzettel der Bevölkerung in Richtung Ampelregierung war, ist klar. Laut einer infratest dimap-Analyse sahen 55 % der Wahlberechtigten die aktuelle Politik als ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung, nur für 38 % zählte die Europapolitik. Die Hälfte aller Wähler teilte sogar die Einschätzung: “Bei der Europawahl hat die Bundesregierung einen Denkzettel verdient.”

Es scheint logisch, dass eine lahmende Baukonjunktur nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen hat, sondern auch politische - genau wie gesellschaftliche. Denn: Wohnen müssen alle Menschen. 

Damit das auch in Zukunft überhaupt möglich ist und bezahlbar bleibt, kann es sich Deutschland eigentlich kaum leisten, hinter dem selbst gesetzten Ziel der Fertigstellung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zurück zu bleiben. Bei den Rahmenbedingungen wie Förderungen und Genehmigungsverfahren gibt es nach wie vor Nachholbedarf. Ein Ende der schwächelnden Baukonjunktur hingegen dürfte vorerst nicht in Sicht sein.

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