Vom Produkt zum Rohstoff: Auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft am Bau

August 21, 2024
Autor/in:
Thomas Lippold

Unser neuster Artikel handelt von der Bedeutung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Bauabfälle, die bisher oft nicht ausreichend recycelt werden, sollen künftig durch innovative Ansätze wie Urban Mining und kreislauffähige Materialien besser wiederverwertet werden. Ziel ist es, Abfälle zu minimieren und Ressourcen effizienter zu nutzen.

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Die Antwort auf die Frage, warum wir heute noch bauen, ist relativ einfach: Weil wir alle leben und irgendwo wohnen müssen. Wohnen ist also ein menschliches Grundbedürfnis, bauen die logische Konsequenz daraus. Der Bedarf nach Wohnraum ist immer aktuell, solange Familien Nachwuchs erwarten, Paare zusammenziehen, und Menschen durch Migration oder Zuzug neu zu uns kommen. Dem drängenden Wohnraummangel hierzulande hat die Bundesregierung ein ambitioniertes Neubauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr entgegengesetzt, mit deren Umsetzung die deutsche Baubranche gut beschäftigt ist. 

Die Aufmerksamkeit auf dem Thema Bauen hat in der Vergangenheit stets die Frage neu aufgeworfen, wie wir eigentlich bauen wollen - oder bauen sollten, um unseren Ansprüchen an Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit haben natürlich das Ziel, nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, die weiterhin genügend Ressourcen bereithält. Nachhaltiges Bauen wird nur mit einer effektiven Kreislaufwirtschaft - auch Circular Economy - gelingen, die möglichst wenig unverwertbare Abfälle und CO₂ produziert. Leider ist der nachhaltigste Weg nicht immer der günstigste, weil es noch zu viele günstigere Alternativen gibt, die nicht nachhaltig sind. 

Billige und illegale Entsorgung von Schutt und Abfällen stehen nicht selten im Wettbewerb mit einer effektiven Kreislaufwirtschaft. Dazu kommt auch, dass für eine Wiederverwendung von Produkten in der Vergangenheit und teilweise bis heute schlicht keine Notwendigkeit gesehen wurde, solange Rohstoffe, Ressourcen und neue Produkte dem Anschein nach im Überfluss und unbegrenzt verfügbar waren. Die Erkenntnis, dass das nicht so ist und wir auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen leben, ist heutzutage daher von umso drängender Wichtigkeit. Ein nachhaltiger Ressourcenverbrauch bedeutet auch: Ressourcen sparen. 

Bauabfälle sind die größte Abfallgruppe in Deutschland

2023 wurde der 13. Monitoring-Bericht der Bauwirtschaft  zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2020 veröffentlicht. Demnach waren 2020 mineralische Bauabfälle in Deutschland mit 220,6 Millionen Tonnen die mengenmäßig größte Abfallgruppe. Davon waren 129,2 Millionen Tonnen Boden und Steine (Bodenaushub, Baggergut und Gleisschotter). Ganze 85,7 % davon wurden direkt wieder verwertet, für die Verfüllung oder den Deponiebau. In diesem Fall ist das ein Downcycling, da grundsätzlich eine gleich- oder höherwertige (Upcycling) Verwendung der recycelten Materialien das Ziel ist. Der Rest der Bauabfälle bestand aus Baustellenabfällen,  Bauabfällen auf Gipsbasis, Bauschutt und Straßenaufbruch, wovon 90 % verwertet wurden. 

Gute 40 % der Abfälle auf Gipsbasis hingegen landeten auf Deponien. Die Deponie ist dabei aus kreislaufwirtschaftlicher Sicht eine Endstation, da dortige Abfälle in der Regel nicht mehr verwertet werden. Wie effektives Recycling von Gips aussehen kann, stellen wir in einem nächsten Beitrag vor. Im Vergleich zu 2016 nahm die Menge an Bauabfall zu, die Verwertungsrate änderte sich aber nur wenig. 

Reduce und Reuse: Urban Mining als Teil der Kreislaufwirtschaft

Neben der Abfallverwertung durch Recycling, wobei Rohstoffe wiederaufbereitet und wiederverwendet werden, ist eine Sonderform das sogenannte Urban Mining. Das beschreibt den Versuch, beispielsweise beim Rückbau von alten Gebäuden Baustoffe ohne vorheriges Recycling direkt zu nutzen. Dazu eignen sich beispielsweise Fenster, Türen oder Ziegel- und Mauersteine. Der Anfall solcher Bauteile und Rohstoffe lässt sich frühzeitig gut vorhersagen, sodass Urban Mining auch zum Ziel hat, effektive Verwertungsmöglichkeiten für anfallende Güter zu identifizieren. Die Grenzen zwischen Recycling und Urban Mining verschwimmen dabei. 

Nachhaltiger Verbrauch begrenzter Ressourcen: Kreislauffähigkeit als Lösung?

Die Kreislaufwirtschaft, auch “Circular Economy” genannt, steht für eine effektivere Nutzung von Rohstoffen, Baumaterialien und Produkten. Ziel ist es, dass so wenig Abfälle und Emissionen wie möglich anfallen. Es soll größtenteils recycelt und wiederverwendet werden. Wo das nicht geht, werden bislang noch alternative Entsorgungsformen wie thermische Verwertung (Verbrennung) oder möglichst naturschonende Deponierung umgesetzt. Dafür gilt es zukünftig bessere Wege zu finden. 

In Deutschland trat 2012 das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft, welches versucht, Deponieabfälle zu verringern und Abfälle zu reduzieren. Gerade das ressourcenschonende Bauen muss ein kreislauffähiges Bauen sein. Kreislauffähigkeit erfordert jedoch ein Umdenken in Design, Planung und dem Bauen selber.

Was bedeutet Kreislauffähigkeit und wie kann sie umgesetzt werden?

Kreislauffähige Produkte werden nach ihrem Ausbau oder Rückbau grundsätzlich recycelt. Es entsteht ein Sekundärrohstoff, der wiederum als Grundlage für die Herstellung neuer Produkte dient. Hier entfallen die Material- und Ressourcenaufwendungen, die für das erste Gewinnen der Rohstoffe angefallen sind, da diese ein zweites Mal einem neuen (oder dem gleichen) Verwendungszweck zugeführt werden. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass für das Sortieren, Aufbereiten und den Transport der Wertstoffe an den Produktionsstandort erneut Ressourcen aufgewendet werden müssen.

Ein bekannter Ansatz der Kreislaufwirtschaft ist das cradle-to-cradle-Designkonzept, welches in den 90er Jahren vom deutschen Verfahrenstechniker Prof. Dr. Michael Braungart und dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt wurde. Das Konzept, welches mit “von der Wiege bis zur Wiege” übersetzt werden kann, beschreibt eine potenziell perfekte Kreislaufwirtschaft. 

Eine Besonderheit ist, dass das cradle-to-cradle-Konzept nicht einfach nur versucht, weniger schädlich, sondern nützlicher zu sein. Zwar gibt es auch in einem c2c-Kreislauf Abfälle und Emissionen, diese werden aber als neue Grundlage für weitere Kreisläufe und Prozesse verstanden. Klassischer Müll, der im Regelfall den Stoff- und Produktionskreisläufen entzogen wird und unverwendbar und nicht recycelt auf Deponien verschwindet, entfällt. 

Eine Herausforderung bei der Entwicklung kreislauffähiger Produkte ist bereits ihre Entstehung. Betrachtet werden muss der ganze Lebenszyklus von Produkten. Der Herstellungsprozess bedient sich bereits idealerweise den beim Recycling gewonnenen Sekundärrohstoffen. 

Das neue Produkt muss jetzt so gestaltet sein, dass es einerseits langlebig ist, und dass sich andererseits möglichst alle Komponenten nach der Nutzung und am Ende des Lebenszyklus wiederverwenden lassen. Hier ist es beispielsweise wichtig, die Komponenten nicht mit schwer oder unlösbaren Klebern zu verbinden, die eine Zerlegung am Ende verhindern. 

Welche Stoffe sind kreislauffähig - und was bedeutet das für die Baubranche?

Für die Baustoffindustrie ist die Bedeutung einer Kreislaufwirtschaft nicht zu unterschätzen. Es ist der einzige Weg, dem zirkulären Bauen - bei dem kaum nicht verwertbaren Abfälle mehr entstehen, näherzukommen. Dabei sind Erfindungsreichtum und Pioniergeist gefragt. Besondere Probleme stellen beispielsweise verklebte Baustoffe, sogenannte Verbundwerkstoffe oder verklebte Konstruktionsaufbauten dar. Diese Produktkombination lässt sich schwer bis gar nicht in seine einzelnen Komponenten zerlegen. Wo es möglich ist, sollte die Ersetzung herkömmlicher, nicht kreislauffähiger Baustoffe durch einfach rückbaubare und trennbare Materialien erprobt werden. 

Oftmals wird Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen wie z.B. Holz, Naturfasern oder Lehm automatisch eine bessere Kreislauffähigkeit unterstellt. In der Praxis fehlen jedoch häufig noch Rückbau- und Recyclingkonzepte sowie Serviceangebote für einen geschlossenen Kreislauf. Am Ende bleibt dann oft doch nur die sogenannte thermische Verwertung, bei der aber wiederum CO₂-Emissionen entstehen.

Entgegen der weitläufigen Meinung ist neben Stein- oder Glaswolle auch der natürliche Rohstoff Gips gut recyclebar. Gips ist dabei einer der wenigen Baustoffe, der quasi unendlich recyclebar ist. Dadurch könnten nicht unbeträchtliche Anteile des Rohstoffbedarfes gedeckt werden. Leider ist das Gipsrecycling bislang noch nicht hinreichend bekannt - und so werden große Potenziale verschwendet und die Natur auch noch unnötig belastet. 

Welche Beispiele für Materialien und Verfahrenstechniken gibt es?

Bildwuelle: ISOVER / Saint-Gobain

Mittlerweile gibt es vielseitige Anstrengungen von einigen Akteuren der Baustoffindustrie, die angebotenen Produkte kreislauffähig zu machen. Saint-Gobain unterstützt mit der Initiative EASY ECO  Unternehmen und Dienstleister beim einfachen und nachhaltigen Bauen. Ziel der Initiative ist es, möglichst wenig Überschuss und Verpackungsabfall zu produzieren. Hierzu werden die Mineralwoll-Produkte von ISOVER oder RIGIPS-Platten mit solchen entsprechenden Eigenschaften produziert und geliefert, sodass auf der Baustelle vor Ort möglichst wenig zugeschnitten werden muss. 

Sollten doch Abschnitte und Reste übrig bleiben, holen Recyclingpartner diese ab und führen sie in den Wertstoffkreislauf von Saint-Gobain zurück. Das Gleiche gilt für Verpackungsmüll und ISOVER-Paletten,  die sogar kostenfrei zurückgenommen werden. Ab 2023 gekaufte ISOVER und RIGIPS-Produkte, die in der EASY ECO Materialdatenbank registriert wurden, werden vom Hersteller nach dem Rückbau außerdem zurückgenommen. Das soll nach Ende der Gebäudelebensdauer oder bei Umbaumaßnahmen eine optimale Rückführung in den Wertstoffkreislauf garantieren. 

Eine Herausforderung vor dem Rücknahmeprozess könnte die Beschaffenheit der verbauten Materialien sein. Wichtig für die Rückgabe ist, dass Produkte wie Glaswolle, Steinwolle oder Gipskarton- und Faserplatten sortenrein getrennt werden. Die Materialien müssen weiterhin frei von Verschmutzungen durch Putz und sonstige Abfälle sein. 

Mehr dazu erfahrt ihr hier: Zur Webseite von EASY ECO

Wie muss eine Zukunft mit Kreislaufwirtschaft am Bau aussehen?

Die Baustoffindustrie der Zukunft steht vor großen Herausforderungen, die sich zwar um die jeweiligen Baustoffe an sich drehen, dabei aber alle Schritte des Lebenszyklus abdecken. Benötigt wird eine nachhaltige Produktion, die in der Lage ist, zuvor zurückgenommene Produkte in seine Bestandteile zu zerlegen, um diese dann zur Herstellung neuer Produkte zu verwenden. Je einfacher dieser Recyclingprozess ist, desto besser und für alle Beteiligten auch motivierender. Die Herstellung sollte sich dabei bereits an dem Ziel des Rückbaus und der Wiederverwendbarkeit orientieren. Auch ein einfacher, zerstörungsfreier und rückstandsloser Rückbau oder Abriss sollte Ziel eines kreislauffähigen Baustoffes sein. 

Es macht daher durchaus Sinn, dass Unternehmen eine Rücknahme ihrer ausgebauten oder zurückgebauten Produkte und Materialien anbieten. Diese können anschließend in den beim Hersteller angesiedelten und abgestimmten Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden. Damit das wirtschaftlich und nachhaltig möglich wird, sind entsprechende Anlagen nötig. Hier sind einige Baustoffhersteller bereits beispielhaft aktiv und treiben die Bauwende damit zielgerichtet voran.

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